Buchvorstellungen
WillkommenWillkommen
Bücher
    
Der Hof – Ein Neues Projekt
Die Geschichte eines Hofes im Wandel der Generationen
Der Hof im Wandel der Generationen
1
Heimat – Ticino
Erste Strahlen der Morgensonne tauchten die schroffen Gipfel der Tessiner Alpen langsam in goldenes Licht. Während die Welt noch erwachte, war Giovanni Smeth, ein junger Bauer, bereits seit Stunden fleißig bei der Arbeit und widmete sich seinem Tagwerk. Schweiß perlte von seiner Stirn, als er die Sense mit Bedacht durch das taufrische Gras führte. Seine Hände, gegerbt und gezeichnet von harter Arbeit, trugen die Spuren eines Lebens voller Geschichten: die raue Haut erzählte von endlosen Tagen unter freiem Himmel, von eisigen Morgenstunden und vom beständigen Gewicht der Werkzeuge, die er Tag für Tag in die Hand nahm. Sein Blick schweifte hinüber zu dem kleinen Haus am Ende des Weges. Es war für Giovanni kein bloßes Gebäude, sondern ein Ort voller Bedeutung. Es war das Lachen seiner Kinder, der verführerische Duft von frisch gebackenem Brot und das warme, einladende Licht, das jeden Abend durch die Fenster strömte. Es war für ihn der Inbegriff von Heimat.
Das Acker, das er mit Hingabe bestellte, war karg, der Boden hart und steinig, die Ernte oft mager und nicht ausreichend. Doch Smeth gab nicht auf und kannte keine Resignation. Er schichtete Holz für den Winter, trieb die Ziegen auf die Weide und brachte das Heu unter Dach und Fach, oft bis spät in die Abendstunden, wenn andere schon längst ruhten. Jedes Samenkorn, das er pflanzte, jeder Tropfen Schweiß, der auf den steinigen Boden fiel, erzählte von einem Mann, der trotz widriger Umstände und ständiger Entbehrungen für seine Familie, für ein Morgen und eine bessere Zukunft kämpfte. Das Leben mochte ihm wenig gegeben haben, aber er schenkte ihm alles, was er hatte, mit einer Hingabe, die ihresgleichen suchte.
Der Sonnenuntergang brachte ihm keine Ruhe, obwohl die Farben des Himmels friedlich und malerisch wirkten. Mit schweren und bedachten Schritten ging er über den steinigen Weg, der unter seinem Gewicht leicht knirschte, bis hin zum Stall, in dem das unaufhörliche Meckern und Blöken der Ziegen und Schafe deutlich zu hören war. Der Duft von frischem Heu lag in der kühlen Abendluft, doch für ihn war das kein Zeichen von Idylle, sondern ein ständiger Ruf nach Arbeit und Verantwortung. Mit einer entschlossenen Bewegung packte er die Mistgabel, deren Griff sich vertraut an seine rauen Hände schmiegte. Das leise, rhythmische Knirschen des Strohs unter seinen schweren, abgetragenen Stiefeln begleitete ihn unaufhaltsam, während er von einer Aufgabe zur nächsten eilte, ohne Rast oder Zögern.
Die Schatten wurden länger, aber der Feierabend war ein ferner Traum. Selbst in der Dämmerung schien der Hof zu flüstern: „Noch nicht genug, noch nicht fertig.“ Der Sternenhimmel breitete sich über ihm aus, doch seine Gedanken waren zu schwer, um die Schönheit zu bemerken. Die Nächte waren kurz, und der nächste Tag versprach erneut keine Atempause.
Wenn dann wirklich ein Hoffnungsschimmer am Horizont zu erahnen war, rissen tosende Stürme Ziegel vom Dach, während Regen unaufhörlich durch die Ritzen der Fenster sickerte. Die Vorratskammer war fast leer, und was noch da war, reichte kaum, um die hungrigen Blicke der Kinder am Abend zu besänftigen. Die Nächte waren kalt, nicht nur wegen des abgenutzten Ofens, sondern auch wegen der ständigen Angst vor dem nächsten Rückschlag. Kein Tag verging, ohne dass die Familie von einer neuen Hürde gebeutelt wurde – seien es tobende Naturgewalten, der schmerzliche Mangel an Lebensmitteln oder die lähmende Unsicherheit, die wie ein unsichtbares Gewicht auf ihren Schultern lastete. Jedes kleine Hoffnungszeichen wurde durch die Realität eines Europas, das gerade dreißig Jahre Krieg hinter sich hatte, das von Krisen durchzogen war, im Keim erstickt – ein Alltag voller Stärke, Überlebenswillen und der ständigen Suche nach einem Funken Licht im Schatten der Dunkelheit.
Manchmal ließ Giovanni Smeth seinen Blick durch das Fenster voller Sehnsucht über eine Landschaft schweifen, in der die schroffen Berge sanft in schattige Täler übergehen und kristallklare Bergflüsse sich unermüdlich und glitzernd ihren Weg durchs Tal bahnen. Inmitten dieses idyllischen Panoramas standen kleine Steinhäuser, perfekt eingebettet in die Natur und von ihr fast umarmt – genau wie seines. Diese sogenannten Rustici, aus regionalem Granit in akribischer Handarbeit gefertigt, verkörperten eine schlichte Eleganz, die Smeth augenblicklich in eine andere Zeit versetzten.
Die Wände, rau und von der Natur und den Elementen gezeichnet, erzählten Geschichten von Generationen, die hier lebten, arbeiteten und ihre unerschütterliche Verbindung zur Landschaft pflegten. Kein Zierrat, keine unnötigen Details – nur der rohe Stein, das schlichte Holz und die Spuren des Lebens, die sich unauslöschlich eingebrannt hatten. Das Innere? Puristisch und schlicht gehalten, ohne überflüssige Annehmlichkeiten, doch mit einem unvergleichlichen Charme, der Wärme und Geborgenheit ausstrahlte und ein Gefühl von Heimat vermittelte. Die kleinen Fenster, die geflochtenen Holzbalken, die massiven, handgearbeiteten Türen riefen Bilder von handwerklicher Arbeit und einfachen, aber doch erfüllten Tagen hervor.
Diese Häuser waren weit mehr als bloße Gebäude aus Stein und Holz. Sie erzählen Geschichten von einem Leben, das respektvoll mit der Natur verwoben war und aus ihr seine Kraft zog. Die Architektur strahlte eine Bescheidenheit aus, die geprägt war von jahrhundertelanger handwerklicher Tradition und der Fähigkeit, die kostbaren Ressourcen der natürlichen Umgebung klug und nachhaltig zu nutzen. Jedes Detail dieser Häuser zeigte, dass es nicht nur um Ästhetik ging, sondern um die Kunst, mit den Materialien der Natur bewusst und respektvoll zu arbeiten. Hier war nichts überflüssig, keine künstliche Inszenierung – nur pure Authentizität, die eine zeitlose Schönheit in sich barg. Diese Häuser ließen die Natur sprechen, ohne dass Worte nötig waren, denn ihre Stille hat eine eigene Sprache.
Smeth war bewusst, dass im Schatten des Dreißigjährigen Krieges die Schweiz von großflächigen Schlachten und Verwüstungen verschont blieb, doch sein Leben erzählte ihm eine andere Geschichte, eine des unermüdlichen Kampfes und der ständigen Herausforderung. Es war immer von harter Arbeit, endlosen Entbehrungen und einem tiefen Verantwortungsgefühl geprägt, das ihn nie losließ. Er stand stets vor der Herausforderung, seine Familie mit dem wenigen, was die Erde hergab, zu versorgen und durchzubringen, auch wenn die Umstände oft gegen ihn sprachen. Die Felder verlangten eine schier endlose Mühe voller Hingabe: Unter brennender Sonne oder bei beißenden Winterstürmen gruben er und seine Frau Maria mit bloßen Händen und einfachen Werkzeugen in dem steinigen Boden, immer in der endlosen Hoffnung auf eine erträgliche Ernte, die ihnen das Überleben sichern könnte. Doch viel zu oft zerschlug diese Hoffnung ein plötzlicher, unerbittlicher Hagelsturm oder unerwartete Frostnächte, die ihre Arbeit und Träume in Sekunden zunichtemachten und sie mit nichts als Verzweiflung zurückließ.
Giovanni Smeth hadert mit sich: Soll er dieses Land verlassen, wie so viele andere Tessiner Eidgenossen vor ihm, um anderswo ein besseres Leben zu suchen?
Doch dann blickte er wieder auf den tiefblauen Himmel, der sich im kristallklaren Wasser des nahen Flusses spiegelte und eine unbeschreibliche Ruhe ausstrahlte. Steile Berge umrahmten sanfte Täler, während die Sonne in den verwinkelten Gassen des historischen Dorfes versank und eine beinahe zeitlose Atmosphäre kreierte. Vogelgezwitscher, das leise Plätschern des Wassers vom Fluss und der würzige Duft von Pinien und Blüten formten eine Kulisse, die wie aus einem kunstvollen Gemälde entsprungen schien – eine Szenerie, die ihn jedes Mal innehalten ließ. Doch Giovanni sah genauer hin. Inmitten dieser augenscheinlichen Idylle entdeckt er verborgene Geschichten und unausgesprochene Botschaften: zerklüftete Felsen, die von Jahrtausenden der Naturgewalt und unzähligen Veränderungen erzählten, oder alte Brücken, die auf vergangene Zeiten mit längst vergessenen Verbindungen aufmerksam machten. Das Tessin, so ruhig und friedlich es auf den ersten Blick wirkte, trug die Spuren von Wandel, Widerstand und Transformation. Hier verschmolzen Natur und Geschichte zu einer Einheit – subtil und leise, aber stets voller Bedeutung. Diese Landschaft flüsterte von ihrer prägenden Vergangenheit und der Unaufhaltsamkeit des Lebens.
Giovanni Smeth hörte auch von den Nachwirkungen des verheerenden Krieges, der so vieles zerstört hatte. Der Westfälische Frieden war das alles beherrschende Thema der Zeit – jenes Abkommen, das den verheerenden Dreißigjährigen Krieg endlich beendete und eine neue Ära einläuten sollte. Doch würde dieser Frieden auch das Tessin langfristig und nachhaltig verändern? Giovanni blieb skeptisch, denn er zweifelte daran, ob die Auswirkungen überhaupt spürbar wären. Er war davon überzeugt, dass vor allem die Deutschen von diesem Abkommen profitieren würden, während andere Regionen vielleicht weniger deutlich einen Gewinn daraus ziehen könnten. Er hatte erfahren, dass der Vertrag die Souveränität der deutschen Einzelstaaten deutlich stärkte und ihnen erstmals mehr Selbstbestimmung gegenüber dem Kaiser einräumte, was deren Position erheblich festigte. Der Wiederaufbau, der nach einer so langen Zeit des Krieges unvermeidlich war, versprach neue Perspektiven und Chancen: Arbeit sowohl in den sich langsam erholenden Städten als auch auf dem Land. In Deutschland wurden Arbeitskräfte offenbar mit offenen Armen empfangen, denn sie waren dringend benötigt, um die zerfallenen Strukturen wieder aufzubauen. Einen tüchtigen und erfahrenen Bauern würde man dort sicher nicht zurückweisen. Dieser Gedanke ließ ihn nicht mehr los und begann, seine Gedanken zu dominieren.
2
Der Entschluss
Die Welt war in Dunkelheit gehüllt, draußen herrschte eine fast greifbare Stille, die tief in jede Ecke der Nacht eindrang und alles zu umhüllen schien, doch im kleinen Haus regierte eine wohltuende, beinahe magische Ruhe, die wie ein schützender Mantel den Raum durchdrang. Die flackernde Öllampe auf dem schlichten, hölzernen Tisch spendete nicht nur ein sanftes, goldenes Licht, das die Schatten an den Wänden in einem bezaubernden Spiel aus Bewegung und Formen tanzen ließ, sondern erfüllte den Raum gleichzeitig mit einem feinen, dezenten Duft, der in seiner subtilen Art eine besondere, fast ungeahnte Atmosphäre schuf. Dieser wunderbare, sinnliche Duft erinnerte Giovanni Smeth an die weitläufigen mediterranen Landschaften, an die warmen, goldglänzenden Sonnenstrahlen, die zärtlich die Olivenhaine streicheln, und an die zeitlose, tief verwurzelte Gelassenheit des sonnigen Südens, die stets eine beruhigende Wirkung auf ihn hatte. Kein einziges Wort war nötig; dieser Moment sprach für sich selbst – ein stilles, vollkommenes Glück, das die Seele berührte, die Gedanken umhüllte und alle Sinne auf eine sanfte Weise verzauberte und gleichzeitig erdete. Es war das brennende Olivenöl in der Lampe, das diese warme, beruhigende und zugleich inspirierende Atmosphäre verströmte.
Das raue Gewebe seiner Kleidung kratzte leicht auf der Haut – ein vertrautes, beinahe tröstliches Gefühl. Gedanken wirbelten durch seinen Kopf: die Zukunft, voller Möglichkeiten, unbekannter Wege, Herausforderungen und vielleicht auch Gefahren, die es zu überwinden galt. Der Moment verharrte in Stille, während die Flamme unentwegt tanzte. Seine Augen verloren sich in der Weite seiner Gedanken, und die Stille umhüllte ihn wie ein sanfter Sog.
Giovanni Smeth schnellte von seinem Schemel hoch, als hätte ihn die Pest erwischt. Zielstrebig schritt er auf die unscheinbare, fast verborgene Nische in der kalten, rauen Steinwand zu, in der er einen Beutel Tabak wusste, den er vor wenigen Tagen von einem Durchreisenden erworben hatte. Seine Hände umklammerten ihn fest; es war fast, als sühne er die Erschöpfung des Tages in dieser einfachen Bewegung. Behutsam öffnete er das Päckchen, dessen intensiver Geruch ihm sofort in die Nase stieg. Jeder Handgriff war durchdacht, jeder Schritt im Voraus geplant. Die sorgfältig vorbereitete Mischung lag bereit. Mit ruhiger Hand zündete er sie an, beobachtete, wie der Rauch aufstieg, langsam, weich und kontrolliert. Er ließ ihn seinen Weg gehen, nahm ihn auf, schmeckte jeden Hauch, spürte die Wärme und die subtile Entfaltung der Aromen. Kein Moment war überstürzt, kein Zug unachtsam. Es war ein Augenblick der Achtsamkeit, ein Ritual, das den Alltag für einen Moment vergessen ließ, getragen von Konzentration und Genuss. Die Welt um ihn herum schien sich schlagartig zu verändern, die Gedanken flossen klarer, intensiver, wie ein Fluss, der sich seinen Weg durch das Dickicht des Lebens bahnt. In diesem berauschten Zustand, in dem er plötzlich innehielt, war es, als ob etwas ihn wachrüttelt. Sein Blick wurde fest, seine Hände ballten sich, sein Atem wurde schwerer.
Ohne ein einziges Wort zu verlieren, ohne jegliches Zögern oder schwankende Gedanken stand Giovanni Smeths Entschluss unumstößlich fest – ein neues Kapitel seines Lebens begann in diesem Augenblick, und er wusste es mit einer Klarheit, die nicht zu hinterfragen war. Kein Zweifel trübte seine Gedanken, keine Unklarheit störte seine Entschlossenheit, kein innerer Konflikt nagte an ihm. Alles in ihm war erfüllt von einer unerschütterlichen Gewissheit: Dies war der Moment, der alles verändern würde - ein Wendepunkt, der eine neue Richtung aufzeigte und den Weg in eine unbekannte, aber hoffnungsvolle Zukunft wies – ein Symbol für Hoffnung, Veränderung und Neubeginn. Getrieben von den Herausforderungen der Gegenwart, richtete er seinen Blick stets nach vorn, ohne je zurückzublicken, und wagte sich mutig auf unbekanntes Terrain. Er wollte die Chance in der Möglichkeit, alte und längst festgefahrene Muster hinter sich zu lassen, ergreifen und nutzen. Es war wie eine Einladung des Lebens selbst, den mutigen Schritt ins Unbekannte zu wagen, das Tessin zu verlassen, mutig zu sein und die eigene Geschichte voller Energie und Zuversicht neu zu schreiben. Davon war Giovanni Smeth mehr als überzeugt, und er rief mit einer Entschlossenheit in seiner Stimme seinen vier Wänden zu: „Die Zukunft wartet auf mich – bereit, erobert zu werden. Lasst uns aufbrechen!“
3
Reise in die Zukunft
Der Morgen kündigte sich bereits an, als die drei lebhaften Jungen zusammen mit ihrer älteren Schwester voller Neugier ihre Rustici – eine aus großen, sorgfältig geschichteten Granitsteinen errichtete Hütte – verließen, in der sie die letzte Nacht verbracht hatten. In dicke, handgewebte Wollmäntel gehüllt, die sie vor der eisigen Kälte schützen sollten, und mit robusten Lederschuhen an den Füßen, folgten sie ihren Eltern, Giovanni und Maria. Diese zogen einen sorgfältig beladenen hölzernen Schlitten hinter sich her, der all ihre Habseligkeiten und alles Nötige für die Reise trug. Die umgebende Natur war atemberaubend schön und anmutig, doch ebenso gnadenlos und feindselig: Schneebedeckte Gipfel ragten majestätisch in die Höhe, eisige Winde schnitten messerscharf durch die klare Winterluft, und der Schnee knirschte unter ihren vorsichtigen, bedachten Schritten. Die Herausforderung dieser Reise war allgegenwärtig und unverkennbar. Trotz der Strapazen und des unwirtlichen Klimas strahlten die Kinder vor Begeisterung. Sie tobten ausgelassen und lachten herzlich im glitzernden, makellosen Schnee, ließen sich von der weißen Pracht verzaubern, während Giovanni und Maria mit wachsamen, stets aufmerksamen Augen den verworrenen und unberechenbaren Weg im Blick behielten. Jeder Schritt der Familie war wohlüberlegt und vorsichtig gesetzt, denn die unwegsamen, schneebedeckten Pfade und das launische, unvorhersehbare Wetter hielten ständig neue Gefahren und Herausforderungen bereit. Doch es waren nicht allein diese äußeren Risiken und Unwägbarkeiten, die Giovanni, dem entschlossenen Oberhaupt der kleinen Familie, Sorge bereiteten.
„Papa, warum ist unsere Reise so gefährlich? Liegt es an dem Krieg, von dem ihr gesprochen habt?“, fragte Chiara, die Älteste, mit ernstem, nachdenklichem Blick ihren Vater. Offenbar hatte sie einige Wortfetzen aus der leisen, sorgenvollen Unterhaltung ihrer Eltern aufgeschnappt und konnte ihre Neugier nicht länger unterdrücken.
„Nein, mein Kind, dieser schreckliche Krieg, der so viel Leid und Kummer gebracht hat, ist endlich nach langen 30 Jahren vorbei. Es ist Frieden, und ich hoffe, dass wir nun eine bessere Zukunft vor uns haben. Chiara, du solltest es trotzdem wissen: solange wir hier in der Schweiz unterwegs sind, dürfen wir uns unter keinen Umständen erwischen lassen, denn unsere Ausreise ist strengstens untersagt. Hier oben in den Bergen, weit entfernt von den Hauptstraßen und Siedlungen, wird uns nichts passieren, aber wenn wir in ein paar Tagen in die Nähe der Grenze kommen, müssen wir besonders wachsam sein. Dort besteht die Gefahr, dass wir in die Arme von Söldnertruppen geraten, die eigentlich dafür da sind, uns vor Plünderungen zu schützen, aber sie übernehmen auch die Aufgabe, Reisende zu kontrollieren. Unsere Reise dürfte keinesfalls in einem Kerker oder einer Gefangenschaft enden, und deshalb müssen wir auf jeden Schritt und jede Bewegung achten.“
Das hatte Chiara verstanden und bläute es ihren herumtollenden Brüdern konsequent ein. Sie war sich der Bedeutung ihres Handelns bewusst und wollte sicherstellen, dass niemand in Schwierigkeiten geriet. Auch ihre Brüder erkannten schnell die Ernsthaftigkeit der Situation und passten ihr Verhalten an. Von diesem Moment an handelten sie verantwortungsbewusster und situationsgerecht, denn niemand wollte die Konsequenzen unüberlegter Taten tragen.
Es war eine undurchdringlich dunkle Nacht. Kein Stern funkelte am Himmel, und die Finsternis wirkte wie ein dichter, schwarzer Schleier, der alles verschluckte. Schwer beladene Schneewolken drängten sich eng zusammen, als würden sie auf das Zeichen des Himmels warten, um ihre eisigen Tore zu öffnen und die Welt mit Schnee zu überziehen. Die Luft war kühl, feucht und träge, als ob sie die bevorstehende Last bereits spüren und sich ihr ergeben würde. Ein leises Knirschen erklang unter den Füßen, beinahe unheimlich in der Stille. Ein plötzlicher Windstoß durchbrach das Schweigen, als ob die Nacht selbst innegehalten hätte, ergriffen von ihrer eigenen Dunkelheit. Es lag etwas Unausweichliches in der Luft – ein Gefühl, dass etwas Großes, Mächtiges bevorstand. Die Welt verharrte regungslos und geduldig, während sie auf den Tanz der ersten Schneeflocken wartete.
Da geisterte Giovanni mit seiner Familie in Richtung Grenze nach Deutschland. Die Landschaft war still, nur das leise Rauschen eines Baches war zu hören. Plötzlich stolperte einer der Jungen. Es war Luca, der Kleine. Er verlor das Gleichgewicht und rutschte in das kalte, sprudelnde Wasser. Die Schreie des Kindes durchbrachen die Stille, und Panik lag in der Luft. Ohne zu zögern, sprang der Vater ins Wasser. Seine Bewegungen waren schnell und entschlossen, während er den Jungen an sich zog und sicher ans Ufer brachte. Das zitternde Kind klammerte sich an seinen Vater, während die Familie unsicher, aber auch erleichtert, wieder zusammenstand.
Doch das hörten die Grenzkontrolleure, deren Atem Giovanni bald schon im Nacken hatte. Der wusste sich keinen anderen Rat, als das Gebrüll eines Braunbären zu imitieren. Die Szene war von einer seltsamen Spannung erfüllt, die sich schlagartig entlud. Im Dickicht des Waldes hallten helle, unkontrollierte Laute wider. Die Jungen konnten ihr Lachen nicht zurückhalten, ihre Stimmen schallten wie das Quieken von Jungtieren durch die Bäume. Die Söldner, die sich in der Nähe aufhielten, hielten inne. Ihre Blicke wanderten suchend durch das Geäst, die Gesichter angespannt. Man konnte förmlich sehen, wie sich in ihren Köpfen eine Theorie formte. Einer rief: „Eine Bärin mit ihren Jungen“. Kein gewagter Schritt, keine mutige Konfrontation – der vermeintliche Gedanke an die Gefahr ließ sie zögern. Die Männer entfernten sich, jetzt im Schein von Fackeln, schneller, als man es fassen konnte. Ihre Bewegungen waren hektisch, panisch – an eine weitere Patrouille schienen sie keinen Gedanken zu verschwenden. Kein Wort wurde gewechselt, kein Blick zurückgeworfen. Der Ausdruck in ihren Gesichtern und ihrer Gestik sprach Bände: Schweißperlen auf der Stirn, zitternde Hände, Blicke, die sich nicht mehr trauten, zurückzuschauen. Es war, als würden sie von einer unsichtbaren Macht fort getrieben, die nur sie begreifen konnten. Ihre Schritte hinterließen eigenartige Spuren im Sand, die so chaotisch wirkten wie ihre Flucht selbst. Kein Wort wurde gesprochen, doch alles war klar: Sie hatten genug gesehen und gehört und wollten nur noch weg.
„Es dauert nicht mehr lange, dann sind wir in Sicherheit“, ermunterte Giovanni, vor Kälte bibbernd, seine Familie – in den Armen hielt er den kleinen Luca.
Im Schutz der Nacht, mit schnellen Schritten, bewegte sich die kleine Migrantengruppe vorsichtig durch das unwegsame Gelände. Jeder Ast, der knackte, ließ sie zusammenzucken. Der Atem ging schwer, nicht nur vor Anstrengung, sondern auch vor Angst. Die Augen waren wachsam, suchten nach jedem Zeichen einer Gefahr, während das Adrenalin ihre Sinne schärfte. Als das Licht von Fackeln in der Ferne flackerte, stockte der Atem. Doch sie wichen aus, so leise wie Schatten, und setzten ihren Weg unbeirrt fort. Der Gedanke an Freiheit war stärker als die Angst. Als der erste Sonnenstrahl den Horizont erhellte, wich die Dunkelheit – und mit ihr ein Teil ihrer Furcht. Bald darauf erreichten sie erschöpft, aber erleichtert, den Boden, den sie als ihre Chance auf ein neues Leben sahen: Deutschland.
Ein nahegelegenes Haus erregte ihre Aufmerksamkeit, und dort wurden sie herzlich willkommen geheißen. Luca lag erschöpft und mit fiebriger Stirn unter einer wohltuend warmen Decke, während der Duft von Kräutertee den Raum erfüllte. Der erste Schluck des beruhigenden Getränks wirkte wie Balsam, die Wärme kehrte in seinen Körper zurück. Kurze Zeit später schlüpfte er in weiche, trockene Kleidung, die ihn vor der noch kühlen Frühlingsluft schützte. Es dauerte nicht lange, bis seine Wangen wieder Farbe bekamen, und ein Lächeln sich auf seinem Gesicht zeigte. Die Energie kehrte zurück, und mit jedem Atemzug fühlte er sich lebendiger. Bald stand Luca schon am Fenster, blickte hinaus und spürte die Vorfreude auf das, was vor ihm lag. Der Moment, auf den er so lange hin gefiebert hatte, war endlich gekommen: Die große Reise durch Deutschland konnte beginnen – ein Abenteuer voller Eindrücke, Geschichten und unvergesslicher Begegnungen sollte es werden. Doch so schnell wollte die gute Frau, die mit viel Herz und Hingabe der Tessiner Familie zur Seite stand, ihre Gäste nicht verabschieden.
„Was hat euch zu dieser mühsamen Reise bewogen?“, wollte sie neugierig wissen. „Eurem Dialekt nach zu urteilen, scheint ihr bereits eine lange und beschwerliche Strecke hinter euch zu haben. Abgesehen vom Herrn sprecht ihr doch fließend Italienisch oder Lateinisch. Woher kommt ihr eigentlich, und welches Ziel verfolgt ihr auf eurer Reise? Erzählt mir mehr, ich bin wirklich gespannt.“
„Wir kommen vom Tessin, aus dem Verzascatal“, antwortete Giovanni. „Wenn ihr die schönste Landschaft der Welt sehen wollt, müsst ihr dort hingehen. Mit seiner atemberaubenden Natur, den smaragdgrünen Wassern der Verzasca, die in der Sonne glitzern, und den charmanten historischen Dörfern mit ihren Steinhäusern ist es ein Ziel, das Herzen höherschlagen lässt. Besonders beeindruckend ist die berühmte Ponte dei Salti, eine uralte Steinbrücke, die einen Blick, wie aus dem Bilderbuch, über den Fluss bietet. Der schlängelt sich wie ein grünes Band durch das Tal. Aber dort im Tessin ist das Leben sehr beschwerlich, gerade für Familien wie unsere. Aus diesem Grund wollen wir uns in Deutschland nach einem Bauernhof umsehen, um dort vielleicht eine neue Heimat zu finden und ein einfacheres, aber sicheres Leben zu führen.
Die Frau bewies nicht nur Mitgefühl, sondern auch ein besonderes Gespür für praktische Ratschläge. Sie sagte: „Ich habe von einem Ort in Deutschland gehört, wo die Chancen für einen fleißigen Bauern kaum besser sein könnten. Er ist umgeben von fruchtbaren Feldern und es ist eine Gemeinschaft, die das Land zu schätzen weiß“.
Sie beschrieb die Landschaft nicht mit vielen Worten, doch allein ihr Leuchten in den Augen ließ erkennen, wie tief sie von der Schönheit und den Möglichkeiten dieses Ortes überzeugt war. Ihre Erzählung malte das Bild einer Region, die nicht nur ertragreiche Ernten verspricht, sondern auch ein Leben in Harmonie mit der Natur.
„Erzählen sie weiter!“, forderte Giovanni die Frau auf. „Wie heißt die Region?“
Und sie erzählte gern, kam so richtig ins Schwärmen:
„Während des Krieges von 1618 bis 1648 spielte die Region Lausitz eine strategisch bedeutende Rolle. Als Teil der Böhmischen Krone, bekannt auch als „Markgrafschaft Niederlausitz“, geriet sie durch ihre Lage zwischen Sachsen, Schlesien und Böhmen früh in den Strudel der kriegerischen Auseinandersetzungen. Die Region wurde Schauplatz zahlreicher Gefechte und litt enorm unter Plünderungen, Zerstörungen und der wirtschaftlichen Not, die der lang andauernde Konflikt mit sich brachte. Ihre strategische Bedeutung lag nicht nur in der geografischen Lage, sondern auch in ihrer Funktion als Verbindungsroute und Versorgungsstrecke für die kämpfenden Parteien. Im Jahr 1635 wurde die Lausitz im Rahmen des Prager Friedens ein Teil von Kursachsen. Diese Vereinbarung beendete den Dreißigjährigen Krieg zumindest teilweise und führte zur Abtretung der Ober- und Niederlausitz durch das Königreich Böhmen an das Kurfürstentum Sachsen. Diese territoriale Neuordnung stärkte die Machtposition Kursachsens und hinterließ einen prägenden Einfluss auf die Geschichte der Region. Doch die Spuren der Zerstörung waren allgegenwärtig: Verlassene Gemeinden, verwilderte Felder und eine drastisch dezimierte Bevölkerung zeugten von den massiven Verlusten. Trotzdem erwachte die Lausitz langsam zu neuem Leben. Wanderarbeiter und Migranten aus anderen Teilen Europas strömten herbei und begannen, die Region wiederaufzubauen. Sie übernahmen verlassene Höfe, kultivierten das brachliegende Land und brachten neue Kenntnisse, Technologien und Traditionen mit, die das landwirtschaftliche Leben bereicherten. Durch ihre harte Arbeit füllten sich nicht nur die Kornspeicher, sondern auch die Dörfer wurden wiederbelebt. Märkte entwickelten sich erneut zu wichtigen Treffpunkten, die den Menschen Hoffnung und die Grundlage für eine positive Zukunft boten.“
„Woher wissen sie das alles?“, wollte Giovanni am Ende des langen Gesprächs neugierig und ein wenig erstaunt wissen, da ihm diese Geschichten doch sehr fremd vorkamen.
„Ich habe einen Sohn, der im Krieg in Dragosow hängen geblieben ist, und ab und zu kommt ein Gruß mit der Postkutsche von ihm an. Es ist zwar selten, aber er schickt uns manchmal ein Lebenszeichen,“ antwortete die Frau mit einem Hauch von Melancholie in der Stimme.
Giovanni und seine Familie bedankten sich herzlich bei der Frau für ihre großzügige Gastfreundschaft, bevor sie voller Dankbarkeit Abschied nahmen. Mit auf den Weg gab sie ihnen liebe Grüße für ihren Sohn sowie ein Päckchen mit nützlichen Dingen für ihn. „Er heißt Karl Lehmann! Vergesst es nicht!“, rief sie ihnen eindringlich hinterher, während ein warmes Lächeln ihr Gesicht erhellte.
Jetzt hatte es die Familie Smeth besonders eilig, denn sie wollten keine Zeit verlieren. Sie hatten ein klares und festes Ziel vor Augen, das sie entschlossen verfolgten, und wollten unbedingt rechtzeitig ankommen, bevor vieles vergeben oder am Ende gar nichts mehr zu holen war.
4
Ankunft in Dragosow
In der Lausitz hatte der Frühling Einzug gehalten. Die Landschaft um Dragosow präsentierte sich den Smeths als eine weitläufige, teils unberührte Natur. Sanft geschwungene Hügel wurden von dichten Wäldern durchzogen, in denen Kiefern und Eichen dominierten. Zwischen den Bäumen erstreckten sich sumpfige Niederungen, durchzogen von zahlreichen Flussläufen und Bächen. Das Wasser schimmerte im Sonnenlicht, während Reiher und Störche in der Ferne über flache Seen schwebten. Moose und Farne bedeckten den Boden, und das Zwitschern der Vögel mischte sich mit dem leisen Rascheln der Blätter im Wind.
Die Dörfer selbst waren von Fachwerkhäusern geprägt, deren Dächer mit Stroh gedeckt waren. Rauch stieg aus den Schornsteinen auf, während Kinder barfuß über die unbefestigten Wege tollten.
In der Nähe der Siedlungen sah man kleine Felder und Wiesen, auf denen Bauern mühsam und mit viel Hingabe Getreide anbauten. Diese Felder wirkten sorgfältig gepflegt, obwohl die Arbeit auf ihnen offensichtlich harte körperliche Anstrengung erforderte. Man konnte erkennen, dass diese Landschaft von der Arbeit der Menschen geprägt war, die unermüdlich versuchten, den Boden fruchtbar zu machen und das Beste aus den möglichen Erträgen herauszuholen.
Giovanni ging auf einen Bauern zu und sprach ihn auf Deutsch an, doch der verstand ihn nicht und antwortete in einer Sprache, die so ganz anders war als jede, die Giovanni kannte. Diese Sprache war für ihn vollkommen fremd und klang wie nichts, was er bisher je gehört hatte. Giovanni konnte sich auf Italienisch, Französisch und Deutsch verständigen, aber diese Sprache hier war völlig unverständlich und hatte absolut gar nichts mit den Sprachen zu tun, die er beherrschte. Doch als er den Namen Karl Lehmann nannte, änderte sich die Situation schlagartig, denn plötzlich war die Verständigung perfekt. Der Bauer reagierte sofort; den Namen und den Mann kannte der Fremde offenbar gut. Ohne zu zögern, legte er seine Streumulde ab und ging in Richtung des nahen Dorfes. Dabei winkte er der Familie auffordernd zu, was wohl heißen sollte: kommt mit, ich bringe euch zu Karl Lehmann. Es war, als hätte der Name allein eine Brücke zwischen ihnen geschlagen.
Karl Lehmann war ein sehr aufgeschlossener Mann, der sich sowohl in deutscher, als auch italienischer Sprache verständigen konnte – und er verstand und sprach sogar diese für Giovanni eigenartige Sprache, die sich als Sorbisch herausstellte. Fortan übersetzte er das, was der Bauer sagte. Der stellte sich nun mit dem Namen Boguslaw Schulze vor.
Giovanni fragte: „Was ist das für eine Sprache, die ihr sprecht und was für ein Volk seid ihr?“ Und er hatte Glück mit seinem Gegenüber – er hatte es direkt mit dem „Dorfschulzen“ zu tun, der es genau wusste:
„Wir sind eigentlich Sorben, nennen uns aber Wenden, weil wir so von den germanischen Nachbarn genannt werden. Unsere Sprache ist also Wendisch oder wenn du willst, auch Sorbisch.“
„Was für ein Volk sie sind, möchte ich mal ergänzen“, sagte Karl Lehmann. „Ich habe das auf der Lateinschule gelernt. Sie sind eigentlich eine westslawische Minderheit, haben ihre Wurzeln in den frühmittelalterlichen slawischen Stämmen, die sich etwa im 6. Jahrhundert in Mitteleuropa niederließen. Sie kamen hauptsächlich aus den Gebieten östlich der Karpaten und nördlich des Schwarzen Meeres – hauptsächlich aus der heutigen Ukraine und Weißrussland. Seitdem entwickelten sie ihre Sprache, Kultur und Traditionen und bewahrten ihre Identität trotz wechselnder politischer Herrschaft und Assimilationsdruck.“
„Wir Dorfbewohner leben eng verbunden mit der Natur“, fuhr Schulze fort, „nutzen die Wälder zum Jagen, die Flüsse zum Fischen und die Felder für den kargen Anbau. Hier siehst du auf den Feldern Bauern bei der Arbeit mit hölzernen Pflügen, gezogen von kräftigen Zugtieren. Frauen schöpfen an Brunnen Wasser oder flechten Körbe.
„Doch nicht alles, was glänzt, ist Gold. Immer wieder werfen die großen Konflikte unserer Zeit ihre Schatten auf uns. Die Handelswege, die unser Land durchziehen, bringen zwar Wohlstand, doch sie bergen auch Gefahren. Regelmäßig ziehen bewaffnete Truppen durch die Region, hinterlassen verbrannte Felder und schüren die Furcht vor Plünderungen. Gleichzeitig ranken sich in den Wäldern Geschichten um Räuber und Wegelagerer, die Reisenden auflauern und ihnen die Reise gefährlich machen.
„Wir versammeln uns abends um das Feuer und erzählen uns Sagen und Legenden – von geheimnisvollen Wesen, die im Moor leben, und von verborgenen Schätzen, die tief im Waldboden ruhen. Dragosow ist ein Bild des Lebens zwischen Natur und Mensch, zwischen Einfachheit und Unsicherheit, und zwischen der Härte des Alltags und den Mythen, die das Leben verzaubern.
„Giovanni: wenn du mit deiner Familie trotz alledem in Dragosow ansiedeln möchtest, dann kannst du das gerne tun. Wir haben noch einige Bauernhöfe in der Dorfaue, deren Besitzer im Krieg umgekommen sind und deren Viehzeug sehnsüchtig auf einen geregelten Alltag wartet.“
„Ja!“, sagte Giovanni entschlossen. „Hier bleiben wir. Kommt, lasst uns gehen und einen Hof aussuchen.“
Eine Herausforderung erwartete Giovanni Smeth und seine Familie: Hier wurde weder Italienisch noch Deutsch gesprochen. Die Sprache der Region war halt Wendisch. Doch Smeth war aus seiner alten Heimat den Umgang mit fremden Sprachen gewohnt. Und außerdem hatte die Familie mit der des Karl Lehmann gute Freunde gefunden. Eine Verständigung mit den Dorfbewohnern war also nicht das große Problem. So entschied er sich, sesshaft zu werden.
Er hatte ein schönes Grundstück mitten im Dorfkern erhalten. Zwar war es sanierungsbedürftig, wurde noch in den letzten Kriegstagen stark beschädigt, wobei auch die Bauersleute umkamen. Doch Smeth scheute keine Arbeit – im Gegenteil, er war sie gewohnt. Seiner Frau Maria, die von den Gesprächen nichts verstanden hatte, konnte er berichten: „Zu diesem Hof gehören sechs Rindsviecher, 4 Kühe und zwei Ochsen, Schweine, Schafe, Hühner, Enten und Tauben. Da werden wir Allemann viel zu tun haben.
„Zusätzlich erhalten wir fünfzig Morgen Ackerland, da kannst du dir ausrechnen, wie viel das ist: Ein Morgen entspricht der Fläche, die ich mit meinem Ochsengespann an einem Tag bearbeiten kann. Seitdem, 1577 war es, glaub ich jedenfalls, wurde der Neukulmische Morgen eingeführt: 1 Neukulmischer Morgen = 300 Quadratruten = 0,5780 Hektar. Wiesen und Wald haben wir nun auch. Auch wenn die Flächen über 400 Ruten vom Grundstück entfernt liegen. Eine Landrute sind ungefähr 5 Meter“, erklärte er seiner Frau. „Dieses Angebot kann ich nicht ausschlagen, da ist es mir egeal, wenn die Dorfbewohner uns fortan „Smettow“ nennen – ja und dich nennen sie Smettowa. Mit unserem richtigen Namen könnten sie sowieso nichts anfangen“, meinte er mit einem Schmunzeln, da kenne ich nicht einmal die sichere Herkunft. Mein Vater sagte einmal, dass das Tessin im Mittelmeerraum, einer Region, die für ihr sonniges Klima bekannt ist, liegt. Die verstärkte Sonneneinstrahlung hat über Jahrtausende dazu geführt, dass wir eine dunklere Hautfarbe entwickelten, um uns besser vor der Sonneneinstrahlung zu schützen. Ja, und unsere Haare werden auch immer schwarz sein. Zudem war das Tessin schon immer ein Knotenpunkt für Handel und Migration, was zu einer großen genetischen Vielfalt führte.“
„Du hast recht“, sagte Maria „du bist wirklich ein tief dunkler Typ. Deine schwarze Augenfarbe strahlt so viel unerschütterliche Ruhe aus, dass sie fast greifbar erscheint. Sie zeugt, glaub’ ich, von einem beeindruckenden Selbstbewusstsein und einer faszinierend tiefgründigen Persönlichkeit, die man nicht übersehen kann. Und soll ich dir etwas verraten? Genau diese Augen haben mich damals, vor 15 Jahren, eingefangen und nie wieder losgelassen. Ein dunkler Typ bin ich ja auch, wie kann es auch anders sein? Wir haben ja beide in einer Rustici das Licht der Welt erblickt. Aber diese Augen habe ich nicht.“
„Nein, Maria, nur gut, deine grünen Augen schauen mich so geheimnisvoll an, so leidenschaftlich, was mich total fasziniert. Ich glaube, unsere Tessiner Gene werden sich noch in 500 Jahren nicht verlieren. Aber jetzt werden wir erst einmal ans Tagwerk gehen und ich wette, am Ende des Tages wissen wir, wofür wir gearbeitet haben.
4
Leben in Dragosow
Giovanni hatte sich schnell mit dem Hof vertraut gemacht. Als erstes hatte er Haus und Hof zu einem ansehnlichen Bauerngrundstück gestaltet.
Das Leben auf dem Hof war eine abwechslungsreiche Mischung aus harter Arbeit, den seltenen und wertvollen Momenten der Freizeit sowie den alltäglichen Beziehungen, die das Familienleben und die Gemeinschaft prägten. Die tägliche Arbeit auf dem Land war körperlich fordernd und verlangte vollen Einsatz – vom ersten Licht des Tages bis zum Sonnenuntergang waren Giovanni und seine Familie unermüdlich mit Ackerbau, der Pflege der Tiere und der Instandhaltung des Hofes beschäftigt. Dabei hatte jeder in der Familie seine festen Aufgaben: Giovanni bearbeitete die weiten Felder, Maria kümmerte sich gewissenhaft um den Haushalt, den blühenden Garten und die kleineren Tiere, während die Kinder schon früh mit kleinen Tätigkeiten halfen, um ihren Beitrag zu leisten. Freizeit war ein kostbares Gut und nur knapp bemessen, doch insbesondere religiöse Feiertage und die lebhaften Dorffeste boten hin und wieder die Möglichkeit, den Alltag zu unterbrechen und die Gemeinschaft zu erleben. Solche Anlässe wurden von den Smeths stets gerne genutzt, und schon bald waren sie eine vollständig integrierte Familie, die in Dragosow viel Ansehen und Respekt erlangte. Liebe, Freundschaften und enge Beziehungen entwickelten sich innerhalb der überschaubaren Dorfgemeinschaft, wo Hochzeiten nicht nur als persönliches, sondern oft auch als bedeutendes wirtschaftliches Ereignis galten. Diese Bedeutung wurde den Smeths besonders bewusst, als Chiara einen gut aussehenden und angesehenen jungen Mann aus Dragosow heiratete. ...
Frontmann
Wilde Zeiten - große Gefühle
Zum Inhalt:
Frontmann – Wilde Zeiten, große Gefühle
Die Verbindung zwischen Musik und Liebe ist so alt wie die Menschheit selbst. Zusammen vereint sie zwei der kraftvollsten Energien des Lebens. Hier verschmelzen Herzklopfen und Harmonie, Inspiration und intime Augenblicke. Ob es die verstohlenen Blicke zwischen Bühne und Publikum sind oder die leidenschaftlichen, turbulenten Momente hinter den Kulissen – es sind Gefühle, die sich kaum in Worte fassen lassen.
Erleben Sie die einzigartige Symbiose von Liebe und Musik und lassen Sie sich von der Magie mitreißen, die entsteht, wenn zwei Herzen im gleichen Takt schlagen.
Dieser Roman offenbart in jeder Phase seinen eigenen Zauber – eine facettenreiche Reise durch das Leben und die Leidenschaft eines Musikers.
                    "Frontmann" - Leseprobe - Ausschnitt: Intermezzo mit Anne
„Du bist also unser neuer Kollege?“, fragte sie neugierig.
„Ja“, antwortete Max knapp.
„Ich bin Anne“, stellte sie sich vor, „Mädchen für alles hier in der Betonbude – auch zuständig für die Einkleidung. Junge, du bist ja völlig durchgeschwitzt! Kein Wunder, der Weg hierher ist beschwerlich. Ich weiß, dass du vom Gut oben kommst. Ich selbst komme aus Steinersburg, wohne aber hier im Arbeiterwohnheim. Übrigens, da wäre noch ein Zimmer frei, falls du Interesse hast. Bevor du dich jedoch in die neuen Arbeitssachen schwingst, kannst du erstmal duschen – wenn du möchtest.“
„Duschen?“, fragte Max erstaunt. Eine Dusche hatte er bis dahin nur ein einziges Mal in seinem Leben gesehen – damals im Kinderferienlager. Er erinnerte sich, wie die gesamte Kindergruppe, Jungen und Mädchen gemeinsam, nackt unter dem warmen Strahl eines Duschkopfes herumtollte.
„Wo habt ihr hier eine Dusche?“, fragte er skeptisch.
Anne deutete auf eine abseits stehende Wassertonne, die zwischen zwei Betonsäulen passgenau eingesetzt war. Von der Tonne führte ein Rohr mit einer angebrachten Gießkannentülle nach unten.
„An der Kette musst du ziehen“, erklärte sie. „Mit etwas Glück kommt sogar warmes Wasser raus.“
„Und wo kann ich mich umziehen?“, wollte er wissen.
Anne grinste breit, presste ein „Pff“ durch die Lippen und sagte: „Keine Sorge, ich schau’ dir schon nichts ab. Ich habe schon ganz andere Männer gesehen.“
Mit einem schelmischen Lächeln entfernte sie sich, während sie über die Schulter rief: „Ich hole mal deine Arbeitsklamotten.“
Max zögerte einen Moment, entschied sich dann jedoch, sich komplett auszuziehen. Er war allein, und bevor Anne zurückkäme, wollte er längst geduscht und wieder angezogen sein. Doch Anne kehrte schneller zurück, als er erwartet hatte – viel zu schnell für seinen Geschmack. Sie zeigte keinerlei Rührung und agierte, als wäre alles völlig normal. Für Max war es das jedoch keineswegs. Eilig griff er nach seinen Sachen, schnappte sich die Unterhose und zog sie sich in einer schnellen Bewegung über. Anne blieb ungerührt, hielt ihm das Arbeitshemd und anschließend die Hose hin und ließ es sich nicht nehmen, ihm beim Anziehen behilflich zu sein – inklusive gelegentlicher Berührungen.
„Es muss ja alles passen, oder?“, sagte sie dann in einem bemutternden Ton.
Dabei reckte sie ihre Brust leicht, drehte ihren Oberkörper spielerisch und schmollte selbstbewusst mit ihren vollen Lippen. Schließlich wies sie mit einer knappen Geste auf das Tor zur Werkhalle und sagte schnippisch: „Da drinnen findest du den Meister. Melde dich bei ihm.“
Mit einem Schwung warf sie ihm die restlichen Sachen vor die Füße und verschwand.
„Eigenartiges Weib“, murmelte Max, zuckte mit den Schultern und machte sich auf den Weg in die Halle, bis zum Meisterbüro, wo er nach einer kurzen Einweisung in die Arbeitssicherheit seine Ausrüstung entgegennahm: eine Schaufel in normaler Größe, einen Hammer, einen Eimer mit Trennmittel und einen Pinsel.
„Das ist alles, was du für deinen Job brauchst“, erklärte der Meister trocken. „Groß nachdenken musst du hier nicht. Das kriegst du doch hin, oder?“
„Klar“, antwortete Max, dachte jedoch insgeheim: „Und dafür habe ich mein Abitur gemacht?“
Zunächst verlief das Schippen zügig, bald bildete sich dann doch die erste Blase am Daumen. Mit dem zweiten größeren ballonförmigen Wassersack in der Innenhand war das Schippen abrupt beendet.
„Das ging mir, als ich damals hier angefangen hatte, genauso“, rief ein Kollege von nebenan rüber. „Anne kommt mir gleich neuen Beton bringen, dann kannst du ihr Bescheid geben, sie wird dich verpflastern.“
Max blickte hinüber und bemerkte einen schmalen, älteren Mann, der gerade konzentriert dabei war, seine Form zu füllen. Sein graues Haar und sein insgesamt gesetztes Erscheinungsbild ließen darauf schließen, dass der Ruhestand für ihn wohl nicht mehr allzu fern war. „Wenn dieser Kollege das über Jahre hinweg erfolgreich gemeistert hat“, dachte er, „dann werde ich das ganz sicher auch schaffen.“ Mit einem freundlichen „Danke!“ wandte er sich an den Mann, doch in diesem Moment fuhr Anne mit ihrem Dumper heran. Direkt vor ihm manövrierte sie das Fahrzeug mit beeindruckender Präzision. Dabei schwappte ein Teil des Betons über die Bordkante und landete direkt vor seinen Füßen.
„Pardon!“, rief sie, dann kippte sie den übergroßen Rest der grauen Masse dem freundlichen Kollegen von nebenan auf den vorgesehenen Platz. Der war bereits mit dem Zusammenbau einer neuen Form beschäftigt und wies auf Max. Anne kam, schaute sich seine Hand an und griente. „Was hast du denn da angestellt? Das wird ja eine größere Operation.“ Mithilfe einer Nadel sorgte sie für vorläufige Entspannung. Die in der Folge aufgepinselte dunkelbraune Substanz entlockte ihm allerdings ein hohes „C“, das er stimmgewaltig herausschrie. Zum Abschluss ihrer Behandlung nahm sie ein größeres Pflaster, legte es in die Innenhand und fixierte dann die Klebeflächen gefühlvoll an die Haut.
„Du schaffst das schon“, sagte Anne nahezu flehend. „Bitte!“
Sie gab ihm einen Schmatz auf die Wange und stieg wieder auf ihren Dumper. Beim Losfahren drehte sie sich nochmals um, ließ ihren Kopf etwas zur Seite fallen und winkte ihm lächelnd zu. Die langen, schwarzen Haare wehten ihr hinterher.
Die Trilogie „Geboren, um zu leben“
Tauchen Sie ein in die Welt der autobiografischen Fiktion mit dem dreiteiligen Roman "Geboren, um zu leben". Diese Reihe verwebt fesselnde Belletristik mit wahren Geschichten, illustriert mit eindrucksvollen Bildern, die diese Seiten zum Leben erwecken. Die Bücher, erschienen im Jahr 2024 neu, sind in deutscher Sprache verfasst und sowohl für Jugendliche als auch für Erwachsene ansprechend gestaltet. Dieses personalisiert und signierte Taschenbuch-Set nimmt Sie mit auf eine emotionale Reise durch die Epochen der Romantik und der Literatur der Jahre 1870 bis 1970. Die Ausgabe mit einer nostalgischen Vintage-Ausstrahlung ist ein literarisches Kleinod für Liebhaber von Biografien und wahren Geschichten. Apropos: Vergesst Sie nicht, Ihre Bücher signieren zu lassen, unter: Kontakt, signierte Bücher bestellen (unten)!
Zweiteiler - Heide-Romane
                    - "Wilhelmine - Was ich euch noch sagen wollte"
 
Eine mitreißende Familiensaga, in der das Leben Wilhelmines und das ihrer Vorfahren in all seinen Facetten aufgerollt wird.
Wilhelmine entstammte äußerst vermögenden Familiendynastien. Dennoch gestalten sich ihre Lebensumstände infolge plötzlichen Leids der Großeltern und Trennung der Eltern äußerst ärmlich. Die Stationen als Küchenmagd in der Fleischerei ihres Onkels sowie als Dienst- und Küchenmädchen auf dem Rittergut Briesen im Schloss des Barons von Wackerbarth repräsentieren dies anschaulich und bieten eine beeindruckende Zeitreise von der Kaiserzeit des ausklingenden 19. Jahrhunderts bis ins heutige 21. Jahrhundert.
- „Geboren, um zu leben“ - Autobiografischer Roman
 
„Wir sind geboren, Taten zu vollbringen“, lernte Julian mit zwölf in der Pionierrepublik „Wilhelm Pieck“. Als Soldat der Nationalen Volksarmee soll er diese Taten umsetzen, doch Drill und Schikane liegen ihm nicht. Stattdessen bringt er mit Musik Freude ins Militärleben. Zu Hause erlernt er auf Wunsch seiner Mutter einen „vernünftigen“ Beruf, doch seine Leidenschaft bleibt die Musik, trotz der Hürden der DDR-Diktatur. Nach dem Mauerfall wird sein Traum wahr: Er eröffnet eine Kneipe und begeistert Gäste mit Musik.
- „Der Tote in der Heide“ – Regional-Krimi
 
- „Die Brandstifter in der Heide“ - Dokumentarroman, der umfassende Sachinformationen zu Waldbrandstiftungen und zum Kriminalroman "Der Tote in der Heide“ liefert. Dazu zählen Zitate, Erläuterungen und auch Bildmaterial.
 
- „Retter der Welt“ – utopischer Roman – eröffnet uns eine atemberaubend neue Perspektive auf die Welt in 100 Jahren. 
 
- „Reise in die Tierolei“ – Pferde-Abenteuer-Roman für Kids