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Die Fontanas
Manuskript Abriss (erste Vorstellungen)
1648 - 2025
Familiensaga
Vorwort
Ein wilder Sturm fegte durch die uralten Eichen, deren knorrige Äste wie verzweifelte Hände zum Himmel ragten. Hinter den Fenstern des Hauses schimmerte ein schwaches Licht, doch in den Augen der Bewohner lag eine Dunkelheit, tief und undurchdringlich wie die Nacht selbst. Der Vater blickte hinaus in die Ferne – dorthin, wo einst Hoffnung keimte. Jetzt jedoch erkannte er, dass es vielleicht nichts weiter als eine Illusion war, ein trügerischer Traum. Die Mutter saß still und unbewegt auf ihrem vertrauten Platz am Fenster. Ihre Hände ruhten in ihrem Schoß, die Finger leicht ineinander verschränkt, als suchten sie Halt. Ihr Blick strahlte eine beeindruckende Würde aus. Die Augen schweiften durch den Raum, erfüllt von Erinnerungen: Ein kunstvoll gerahmtes Porträt, geschmackvoll im Regal arrangiert, flankiert von Relikten einer vergangenen Ära, die gleichzeitig Tiefe und Schmerz in sich trugen. Der Raum war still, nur das leise Ticken einer Uhr durchbrach die Ruhe, wie ein unermüdlicher Zeuge der vergehenden Zeit. Die Mutter wischte sich leise eine Träne von der Wange. Kein lautes Schluchzen, kein großes Drama, nur dieses stille, unaufhaltsame Rinnen, das mehr erzählte, als Worte je könnten. Es ist ein Moment der Stille, in dem Gefühle unausgesprochen bleiben, doch das Herz einer Erzählung folgt– eine Geschichte von Nähe, Verlust und der unvermeidlichen Besinnung auf das, was war und nie wieder sein wird. Ein Ausdruck, der die Seele berührt, ohne ein einziges Wort zu fordern.Schicksalsschläge und düstere Lebensphasen prägten das Leben der Fontanas seit Generationen. Die Mauern ihrer Häuser umhüllten wie ein schützender Mantel die Geschehnisse, die sich in ihrem Inneren abspielten. Sie bewahrten die Geheimnisse vergangener Jahre. Man musste nur genau hinsehen, um diese stillen Erzählungen zu entdecken. Doch selbst unter der erdrückenden Last des Schicksals fanden sich immer wieder Momente der Hoffnung und des Neubeginns. Es sind diese Augenblicke, die zeigen, wie unerschütterlich menschliche Willenskraft sein kann.
*
Im malerischen Kanton Tessin, einer der schönsten und kulturell vielfältigsten Regionen der Schweiz, beginnt die Geschichte der Familiendynastie Fontana. tief in der regionalen Vergangenheit verwurzelt, umgibt ihre Herkunft noch immer ein Hauch von Geheimnis und Mystik.
Das Tessin, die südlichste Region der Schweiz, blickt auf eine lange und faszinierende Historie zurück.
Bereits in der Steinzeit war die Region von Menschen besiedelt, wie archäologische Funde belegen. Während der Eisenzeit ließen sich keltische Stämme, insbesondere die Lepontier, in diesem Gebiet nieder. Im 2. Jahrhundert v. Chr. eroberten die Römer das Tessin und integrierten es in ihr Reich. Sie hinterließen bleibende Spuren, indem sie die Kultur prägten und eine fortschrittliche Infrastruktur schufen. Nach dem Zerfall des Römischen Reiches durchzogen germanische Völker wie die Ostgoten und Langobarden die Region. Schließlich gelangte das Tessin im Mittelalter unter die Kontrolle der Schweizer Eidgenossenschaft, deren Einfluss bis heute spürbar ist.
Die Frage, ob die Fontanas von den Lepontiern, Römern, Ostgoten oder den Langobarden abstammen, wird wohl für alle Zeit unbeantwortet bleiben.
*
Der 30-jährige Krieg war zwar gerade vorbei, doch Giovanni Fontana musste seinen geliebten Hof im Schweizerischen Tessin trotzdem verlassen. Die Not trieb ihn aus dem Land. Er floh nach Deutschland in die Markgrafschaft Lausitz, einem Gebiet, das der böhmischen Krone angehörte. In einer slawischen Ansiedlung, dem beschaulichen Dorf Dragosow, konnte er einen Bauernhof übernehmen. Über Generationen hinweg war Dragosow ein Ort des Glücks und der Zufriedenheit – ein wahrer Hafen, den viele Heimat nannten. Eine enge Dorfgemeinschaft wuchs heran, geprägt von Zusammenhalt, Herzlichkeit und gegenseitiger Unterstützung. Nachbarn begrüßten sich mit einem Lächeln, während auf den Feldern, in den Gärten und in den Werkstätten mit Hingabe und Stolz gearbeitet wurde. Das Leben war fest in den Traditionen verwurzelt, die nicht nur bewahrt, sondern mit Leidenschaft und Herzblut gelebt wurden.
Und trotzdem schien ein dunkler Schatten über das Fontana-Geschlecht zu schweben. Das tragische Schicksal von Giovanni Fontana war nicht das einzige Unglück, das die Familiendynastie heimsuchte. Fast 150 Jahre später fiel das Anwesen, inzwischen im Besitz seines Nachfahren Friedrich Fontana, einem verheerenden Brand zum Opfer. Schweren Herzens musste auch er Abschied nehmen: Der Hof, der ihm so viel bedeutete, lag in Trümmern. Doch Friedrich Fontana blieb in Dragosow. Inmitten der weiten Felder erhob sich bald sein neues Heim – ein Vierseitenhof, ganz nach den eigenen Vorstellungen des Friedrich.
Es hätte so friedlich, so erfüllend entsprechend den neuen Gegebenheiten weiter gehen können, ja müssen. Das waren die späteren Generationen der Fontanas den Gründern der zwei ehemaligen Höfe, Giovanni und Friedrich Fontana schuldig. Doch sie waren entweder nicht in der Lage, zu handeln oder hatten andere Vorstellungen von diesem Hof. Das Resultat: Nach weiteren 150 Jahren wurde aus dem so prächtigen Vierseitenhof am Ende eine Bauruine. Der Hof verfiel mit der Zeit. Die Mauern, einst imposant und voller Leben, bröckelten leise vor sich hin. Überall waren die Zeichen der Zeit deutlich erkennbar: zersprungene Fenster, verwittertes Holz und Mauerrisse, die wie stille Zeugen die Vergangenheit widerspiegelten. Man musste nicht fragen, was geschah – die Mauern selbst flüsterten es einem zu.
Wo einst Lachen und geschäftiges Treiben den Alltag prägten, herrschten nun Stille und Leere. Die einst stolzen Gebäude, Symbole von Stabilität und Wohlstand, boten über viele Jahre Schutz und Geborgenheit. Doch im Lauf der Zeit verfiel der Hof immer weiter – Jahr für Jahr ein Stückchen mehr, bis nur noch stumme Ruinen von seiner einstigen Pracht zeugten.
Doch wer hätte es richten sollen? Es war die Zeit des Ersten und Zweiten Weltkriegs – eine Ära voller Verluste, in der viele Männer ihr Leben ließen. Inmitten dieser intensiven Konflikte und tiefgreifenden Umbrüche waren Baumaßnahmen schlicht undenkbar.
An dieser Stelle trat Theresa Fontana ins Rampenlicht, die Erbin dieses Anwesens und mit ihr Ehemann Theodor. Er erkannte bald das Potenzial des Hofs, widmet sich mit voller Hingabe dessen Wiederbelebung – es wurde sein Lebenswerk:. Doch statt Anerkennung erntete er am Ende Kälte. Theresa würdigte seine Mühen nicht und machte deutlich: „Nicht du, nein, alle waren es.“ Schließlich bricht sie ihm mit diesen Worten das Herz: „Du hast auf diesem Hof gar nichts zu sagen Dir gehört hier nichts.“
Es war, als würde ein unsichtbarer Vorhang gelüftet, der den Blick auf eine bittere Wahrheit plötzlich freigab. Die Erkenntnis traf ihn mit der Wucht eines unerwarteten Schlags. Einen Moment lang stockte ihm der Atem, während sich seine Gedanken überschlugen. Sein Blick glitt langsam durch den Raum, und Details, die ihm zuvor belanglos erschienen waren, enthüllten sich nun im grellen Licht der Offenbarung als gravierende Fehler. Eine plötzliche Welle drängender Entscheidungen erfasste ihn, begleitet von einem unerschütterlichen Willen, zu handeln. Mit tiefer Überzeugung wurde ihm klar: „Das Leben schreitet unerbittlich voran – es ist an der Zeit, diesen Hof endgültig hinter dir zu lassen.“
Band 1
Heimat – Riazzino
Die ersten Strahlen der Morgensonne tauchten die zerklüfteten Gipfel der Tessiner Alpen in ein warmes, goldenes Licht. Wie ein Künstler, der mit feinem Pinsel zarte Akzente setzt, verwandelte das Licht die felsigen Höhen in ein atemberaubendes Schauspiel. Die Schatten der Nacht wichen allmählich zurück, während eine sanfte Brise den frischen Duft der klaren Bergluft ins Tal trug. Das leise Plätschern eines kristallklaren Bachs durchbrach die Stille und verlieh dem Moment eine erfrischende Lebendigkeit. Die Sonnenstrahlen ließen die Felsen förmlich zu leben beginnen, während der Himmel in zarten Nuancen von Orange und Rosa erstrahlte. Es war ein Augenblick, der keine Worte brauchte – ein Gefühl, ein Moment reiner Stille und Schönheit, der die niedrigen Temperaturen des Morgens vergessen ließ.
Mit dem Erwachen der Sonne begann auch die Tierwelt der Tessiner Alpen, Leben in die Landschaft zu bringen. Das anfangs schüchterne Zwitschern der Vögel wurde langsam zu einem lebhaften Konzert, während in der Ferne ein Rudel Gämsen gemächlich die steilen Hänge erklomm. Hoch oben zog ein Steinadler in majestätischen Kreisen seine Bahnen. Sein markanter und faszinierender Ruf – scharfe, hohe Schreie oder pfeifende „ki-ki-ki“-Laute – durchdrangen die klare Bergluft und erinnerte an die fast unberührte Wildnis dieser einzigartigen Region – unverkennbar und faszinierend. Jeder Schritt auf den verwundenen Pfaden ließ die Harmonie und pulsierende Energie der Natur spürbar werden – ein Morgen, der die Seele belebte und die Bergwelt in all ihrer Pracht erlebbar machte.
Giovanni Fontana genoss diese Atmosphäre. Er war schon lange vor Sonnenaufgang auf den Beinen. Die Ruhe der frühen Stunden begleitete ihn, während die Welt rund herum langsam erwachte. Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn, als er seine Sense mit gleichmäßigen, geschmeidigen Bewegungen durch das taufrische Gras führte. Jeder Schnitt durchbrach die morgendliche Stille und hinterließ eine Spur von Ordnung in der wilden Bergwiese. Doch tief in seinem Inneren formte sich ein Wunsch: die verdiente Anerkennung für all die Mühe und die wertvollen Augenblicke, die er so sehr schätzte.
Giovanni war erst 35 Jahre alt und doch erzählten seine Hände bereits die Geschichte eines Lebens voller harter Arbeit. Schwielig und stark zeugten sie von der Last der Werkzeuge, die er tagtäglich nutzte. Sein wettergegerbtes Gesicht war ein Spiegel seiner Arbeit unter freiem Himmel, geprägt von eisigen Morgenstunden und nicht enden wollenden Tagen. Er ließ seinen Blick zum kleinen Haus am Ende des Weges schweifen. Dort unten im Tal begann Riazzino, dieses beschauliche Dorf, eingebettet in die sanfte Landschaft des Maggiatals. Die überwiegend aus Stein errichteten Häuser schmiegten sich eng aneinander, während die umliegenden Felder die Spuren harter, traditioneller Landwirtschaft erahnen ließen – eine Tätigkeit, die seit jeher das Leben der Bewohner von Riazzino prägte.
Die Leute lebten einfach: Die Landwirtschaft war das Herzstück des Lebens, ergänzt durch den Handel mit lokalen Produkten wie Kastanien, Wein und Käse. Kleine Wege und Pfade verbanden das Dorf mit den umliegenden Gemeinden, wie Locarno und Gordola, während die majestätischen Berge im Hintergrund Schutz und gleichzeitig eine Herausforderung boten.
*
Das Läuten der Glocken, ein unverkennbares Symbol der religiösen Tradition dieser Region, durchbrach die stille Morgenluft. Auch an diesem Tag klang ihr Ruf durch das Tal. Für Maria, Giovannis Ehefrau, war es das vertraute Signal, ihm das Frühstück zu bringen. Giovanni hielt inne, dann mähte er seinen Schwad weiter, bis er das wohlbekannte Knarren der schweren Haustür aus Kastanienholz hörte und Maria herauskommen sah. In ihren Händen trug sie ein sorgfältig zusammengestelltes Frühstück, ordentlich verstaut in einem geflochtenen Korb. Mit zielgerichteten Schritten bewegte sie sich auf ihn zu, immer darauf bedacht, den Fallgruben auszuweichen, die Giovanni für Bären und andere Wildtiere aufgestellt hatte.
Ihr Lächeln strahlte heller als die Morgensonne, ihre Bewegungen waren voller Anmut, wie eine leichte Brise, die durch die Olivenbäume streift. Das sonnengebräunte Gesicht war ein stiller Zeuge von Tagen unter dem mediterranen Himmel. Jeder Blick auf sie weckte Gedanken an Olivenhaine, Zitronenbäume und das leise Lachen, das einst zwischen Terrassen bei einem Glas Wein verhallte. Die Sommer des Mittelmeers hatten sich nicht nur in der Erinnerung, sondern auch auf der Haut der Tessiner verewigt.
Giovanni genoss diesen stillen Moment voller Vertrautheit, Nähe und tiefer Liebe. Kein einziges Wort war nötig, während sie schweigend und achtsam Happen für Happen vom Mitgebrachten genossen. Sein Blick wanderte hinunter zu seinem Haus, das weit mehr als nur ein Gebäude für ihn war – es war ein Ort lebendiger Erinnerungen und tiefer Emotionen. Das fröhliche Lachen seiner Kinder, der verlockende Duft von frisch gebackenem Brot und das warme, beruhigende Licht, das jeden Abend durch die Fenster fiel – all das machte es zu seinem ganz persönlichen Paradies.
Für Giovanni verkörperte dieser Ort bisher das wahre Gefühl von Heimat – ein Sinnbild für Geborgenheit, Sicherheit und Beständigkeit. Es war ein kostbares, unverzichtbares Erbe, das ihm niemand nehmen konnte. Mit Hingabe und Sorgfalt hatten seine Vorfahren diesen Ort geschaffen und über Generationen bewahrt. Nun lag es an ihm, dies alles zu erhalten und eines Tages an eines seiner Kinder weiterzugeben. „Wird es ihnen überhaupt noch etwas bedeuten?“ Diese quälende Frage ließ ihn nicht los. „Oder werden sie eines Tages in die Stadt ziehen, fern von hier?“ Giovanni seufzte tief. Dieser Krieg hatte alles verändert. Das Leben in den Bergen war hart, und allein über die Runden zu kommen, wurde immer schwieriger. Die Händler zogen nicht mehr von Dorf zu Dorf, denn sie hatten kaum noch etwas, das zum Handeln taugte. Selbst die Brücken, wie die beeindruckende Ponte dei Salti in Lavertezzo im Verzascatal, nur einen Steinwurf von seinem Zuhause entfernt, haben bessere Zeiten gesehen. Einst wurden sie täglich mit Ehrfurcht überquert, doch diese Tage sind längst vorbei.
Das Acker, das er bestellte, war karg, der Boden hart und steinig, die Ernte oft mager und nicht ausreichend. Doch Fontana gab nie auf und kannte keine Resignation. Er schichtete Holz für den Winter, trieb die Ziegen und Schafe auf die Weide und brachte das Heu unter Dach und Fach, oft bis spät in die Abendstunden. Jedes Samenkorn, das er pflanzte, jeder Tropfen Schweiß, der auf den Boden fiel, erzählte von einem Mann, der trotz widriger Umstände und ständiger Entbehrungen für seine Familie, für ein Morgen und eine bessere Zukunft kämpfte. Das Leben mochte ihm wenig gegeben haben, aber er schenkte ihm alles, was er hatte, mit einer Hingabe, die ihresgleichen suchte. Nichteinmal der Sonnenuntergang brachte ihm Ruhe, obwohl die Farben des Himmels friedlich und malerisch wirkten.
Mit schweren Schritten ging Fontana über den steinigen Weg, bis hin zum Stall, in dem das unaufhörliche Meckern und Blöken der Ziegen und Schafe nicht enden wollte, bis sie endlich ihr Futter in den Krippen hatten. Der Duft von frischem Heu lag in der kühlen Abendluft, doch für Fontana war das kein Zeichen von Entspannung, sondern ein ständiger Ruf nach Arbeit und Verantwortung. Mit einer entschlossenen Bewegung packte er die Mistgabel, deren Griff sich vertraut an seine rauen Hände schmiegte. Das leise, rhythmische Knirschen des Strohs unter seinen schweren, abgetragenen Stiefeln begleitete ihn unaufhaltsam, während er von einer Aufgabe zur nächsten eilte, ohne Rast oder Zögern.
Die Schatten wurden länger, aber der Feierabend war ein ferner Traum. Selbst in der Dämmerung schien der Hof Laute von sich geben: „Noch nicht genug, noch nicht fertig.“ Und wenn der Sternenhimmel sich über ihm ausbreitete, waren seine Gedanken zu schwer, um die Schönheit zu bemerken.
Die Nächte waren kurz, und der nächste Tag versprach erneut keine Atempause, doch ein Hoffnungsschimmer war am Horizont zu erahnen.
*
Giovanni drehte sich noch einmal in seinem Bett um und stupste sanft seine Frau Maria an. Er hatte das Bedürfnis, mit ihr zu reden, erst danach wollte er das Tagwerk beginnen.
„Hast du das Geheul des Windes gehört?“ fragte er. „Es klang, als würden wütende Geister durch die Straßen jagen, ihre Stimmen heftig und unnachgiebig. Ich konnte zusehen, wie die Ziegel, eine nach der anderen, mit einer erschreckenden Wucht vom Dach geschleudert wurden. Es war, als hätte der Himmel seine Geduld endgültig verloren, als ob er uns mit seiner Macht demonstrieren wollte, wie klein wir doch eigentlich sind.“
Maria: „Ja, und dieser Regen – es war nicht einfach nur eine gewöhnliche Nässe, wie sonst. Die Tropfen wirkten beinahe lebendig, als hätten sie einen eigenen Willen. Unaufhaltsam suchten sie sich ihren Weg, drangen durch die kleinsten Ritzen der Fenster – wie winzige, unzähmbare Fluten. Es war, als würde das Haus selbst unter der unbändigen Last des Sturms ein stilles Klagelied seufzen.“
Giovanni: „Genau das war es! Die ganze Nacht durch konnte ich dieses stete Tropfen hören, wie ein unaufhörliches, nervenaufreibendes Klopfen, das mir den Schlaf raubte. Es war nicht nur Regen und Sturm, Maria. Nein, es war so viel mehr. Es war eine Botschaft – wild und ungezähmt, die mich nicht mehr loslässt.“
Maria: „Und die Dunkelheit, sie war nicht bloß Finsternis. Sie fühlte sich so greifbar an, als würde sie dich regelrecht umklammern, dich festhalten und zwingen, hinzusehen und etwas wahrzunehmen. Es war nicht nur ein Unwetter, Giovanni. Es war, als ob der Sturm mit seinen tosenden Elementen eine Geschichte erzählen wollte, eine epische Erzählung, die man nicht ignorieren kann.“
Giovanni: „Eine Geschichte, die nur Gott, der Wind und der Regen in ihren tiefsten Geheimnissen kennen. Beeindruckend, nicht wahr, wie die Natur uns so intensiv fühlen lässt, als ob wir Teil eines unausgesprochenen Dialogs wären? Wir mussten nichts sagen, nichts benennen oder erklären – wir haben es einfach erlebt, unmittelbar und mit jeder Faser unseres Seins. Ich hatte das Gefühl, als wäre das eine Botschaft an uns: Verschwindet! wollte sie mitteilen, ehe es zu spät ist.
„Sieh nur Maria; die Vorratskammer ist fast leer, und was noch da ist, reicht kaum, um die hungrigen Blicke der Kinder zu besänftigen. Die Nächte sind von Kälte durchdrungen, nicht allein aufgrund der Stürme und des alten Ofens. Es ist vielmehr die innere Unsicherheit, die an der Seele zehrt. Unabhängig davon, wie viele Decken man sich umlegt oder wie oft man bemüht ist, das Feuer erneut zu entfachen – die Kälte verharrt beständig.“
*
Es gab keinen Tag, an dem die Familie nicht von einer neuen Herausforderung heimgesucht wurde. Jeder kleine Funke der Hoffnung wurde von der harten Realität eines Europas, das gerade dreißig Jahre Krieg überstanden hatte, im Keim erstickt.
Giovanni Fontana ließ seinen Blick oft aus dem Fenster schweifen und nahm dabei eine weitläufige Landschaft in sich auf: Gebirgsformationen gingen harmonisch über in sanfte, tiefgrün bewaldete und schattige Täler. Kristallklare Bergflüsse wanden sich glitzernd und unermüdlich durch die Täler, begleitet von einer fast schon hypnotischen Ruhe. Rustici – kleine Steinhäuser, eingebettet und fast umarmt von ihrer Umgebung – erhoben sich, wirkten wie natürliche Erweiterungen der Landschaft. „Mein eigenes Rustico ist eines davon“, sagte Giovanni stolz vor sich hin. Er konnte seinen Blick nicht von den Häusern abwenden. Aus regionalem Granit gefertigt und mit einer meisterhaften Handwerkskunst errichtet, strahlten sie eine unvergleichliche Anmut aus. Jede Fassade erzählte eine Geschichte, jede Steinreihe schien ein Relikt aus einer vergangenen Epoche zu sein. Es war, als würde die Zeit stillstehen, sobald er vor ihnen stand. Die Präzision der Arbeit und die natürliche Schönheit des Granits bildeten eine Symbiose, die ihn augenblicklich in eine andere Welt versetzte. Giovanni sah nicht nur Bauwerke – er sah Kunstwerke, die von Generationen geprägt und bewahrt wurden, ein Zeugnis für die Harmonie zwischen Mensch und Natur.
Die Wände, mit ihrer rauen Oberflächenstruktur und den sichtbaren Spuren der Zeit, erzählten Geschichten von vergangenen Generationen. Sie erzählten von den Menschen, die hier einst lebten und arbeiteten, und deren tiefe Verbundenheit mit der umliegenden Landschaft bis heute spürbar ist. Kein Zierrat, keine unnötigen Details – nur der rohe Stein, das schlichte Holz und die Spuren des Lebens, die sich unauslöschlich eingebrannt hatten. Das Innere? Puristisch und schlicht gehalten, frei von überflüssigem Komfort, doch mit einem unvergleichlichen Charme. Die kleinen Fenster, die geflochtenen Holzbalken, die massiven, handgearbeiteten Türen riefen Bilder von handwerklicher Arbeit und einfachen, aber doch erfüllten Tagen hervor. Doch das lag weit zurück.
„Was kann ich nur tun?“ fragte sich Fontana, und fand keine Antwort. Er haderte mit sich: „Soll ich der Botschaft aus der letzten Sturmnacht folgen und verschwinden, ehe es zu spät ist? Soll ich dieses Land verlassen, wie so viele andere Tessiner Eidgenossen vor mir, um anderswo ein besseres Leben zu suchen?“
Er richtete seinen Blick auf den tiefblauen Himmel, der sich im kristallklaren Wasser des nahegelegenen Flusses widerspiegelte. Die steilen Berge und dann wieder der würzige Duft von Pinien und floralen Noten, all das wirkte wie einem meisterhaft gestalteten Gemälde entnommen – ein Anblick, der ihn stets innehalten und staunen ließ.
Giovanni blickte jedoch genauer hin. Hinter der scheinbaren Idylle offenbarten sich zerklüftete Felsen, geformt durch Jahrtausende unbändiger Naturgewalten und unzählige weitere Veränderungen. Sie schwiegen, und doch schien ihr stilles Dasein eine Einladung zu sein, innezuhalten und zu lauschen: Und tatsächlich: Fontana glaubte genau zu hören, wie die Vergangenheit durch die Risse des verwitterten Gesteins hauchte: „Giovanni, warum verweilst du hier, wo das Klappern der Wagenräder auf den alten Handelsrouten einem unheilvollen Schweigen gewichen ist?“
„Ach Unfug!“, holte sich Fontana wieder in die Realität zurück. Er wusste von den Nachwirkungen des verheerenden Krieges, der so vieles zerstört hatte. Der Westfälische Frieden war das alles beherrschende Thema der Zeit – jenes Abkommen, das den Dreißigjährigen Krieg endlich beendete und eine neue Ära einläuten sollte. „Doch würde dieser Frieden auch das Tessin langfristig und nachhaltig verändern?“ Fontana blieb skeptisch. Der Gedanke an den frisch ausgehandelten Frieden wollte in ihm kein Vertrauen wecken. Er hatte von einem Durchreisenden gehört, dass der Vertrag den deutschen Einzelstaaten mehr Eigenständigkeit gab und damit ihre Stellung gegenüber dem Kaiser deutlich stärkte. Das Echo der Vergangenheit schien ihm hier zu Lande zu laut, als dass die leisen Worte eines Abkommens es übertönen könnten.
Für Giovanni war es an der Zeit, seiner Maria von den Wundern des Wiederaufbaus in Deutschland zu erzählen.
„Stell dir vor“, sagte er: „Die morgendliche Sonne taucht die weite Landschaft in warmes Licht, und ein sanfter Wind streicht über ein Meer aus saftig-grünen Wiesen. Wo einst trockene, unfruchtbare Erde lag, bedecken jetzt dichte Gräser und kräftige Pflanzen den Boden. Überall summt und brummt es – Bienen und Schmetterlinge gleiten über die Blüten, während Vögel mit lebhaftem Gesang den Himmel erfüllen. Die Luft riecht nach Frische und Vitalität, und der Boden, der früher leblos schien, pulsiert vor Lebenskraft. Es ist, als hätte die Natur ihre lange Pause beendet und mit neuem Schwung ein beeindruckendes Schauspiel geschaffen – Maria, glaub mir, so würden Dichter das heutige Deutschland beschreiben. Das kann man nicht ignorieren.“
Maria erhob sich von ihrem Schemel und setzte sich auf Giovannis Schoß, umarmte und küsste ihn. „Giovanni, ich würde gern mit dir und unseren Kindern dort hingehen, aber die sind doch noch so klein und der Weg ist lang und schwer. Aber erzähle mir bitte mehr von Deutschland!“
Er fuhr fort: „Verlassene Dörfer, die früher wie leere Hüllen wirkten, erwachen langsam zu neuem Leben. Kinderlachen erfüllt die Straßen, während Menschen ihre Häuser wiederaufbauen und liebevoll ihre Gärten bepflanzen. Die Luft vibriert vor stiller, aber entschlossener Betriebsamkeit. Eingewanderte Bauern bestellen die Felder mit frischem Elan, und die ersten Ernten nähren die Hoffnung auf eine Rückkehr zu Stabilität und Wohlstand. Maria! Dort hätten auch wir die Chance, eine neue Zukunft aufzubauen – nicht nur für uns selbst, sondern auch für unsere Kinder und Kindeskinder!“
„Liebster Giovanni“, sagte Maria und liebkoste ihn dabei. „Und wie willst du dort hinkommen – in dieses Land voller Überfluss und Müßiggang, wo Milch und Honig fließen und du brauchst dich nur zu bedienen?“
Giovanni verschränkte die Arme vor der Brust, seine Augenbrauen zogen sich zusammen, während er Maria ansah. Sie saß ihm nun wieder gegenüber, doch ihr Blick glitt über ihn hinweg, hinaus ins Ungewisse. Er spürte die Spannung in der Luft, die wie ein unsichtbares Band zwischen ihnen hing. Die Stille war schwer, fast drückend, und er konnte das Pochen seines eigenen Herzens hören. Plötzlich machte er eine ausladende Geste, seine Stimme schoss durch den Raum, laut und scharf wie ein Pfeil: „Ihr Frauen seid immer so! Kritisiert alles, aber wenn es darauf ankommt, habt ihr keine Lösungen!“
Marias Lippen zuckten leicht, doch sie sagte nichts. Ihre Finger spielten nervös mit dem Saum ihres Pullovers, während sie weiterhin ins Leere starrte.
Giovanni holte tief Luft, als wollte er seine Standpauke fortsetzen . Das leise Geräusch durchbrach die Stille, doch in seinem Inneren loderte die Ungewissheit weiter wie ein unbändiges Feuer. Die Atmosphäre war geladen, nahezu greifbar – wie eine unsichtbare Barriere, die zwischen ihnen stand. „Jedenfalls hat mir der Durchreisende das so berichtet“, fügte er hinzu, seine Stimme jetzt leicht drängend, als ob diese Information allein ausreichen müsste, um den Zweifel in Maria zu beseitigen.
Doch Maria schwieg. Ihre Hände, die sie nervös ineinander verschränkte, verrieten mehr, als Worte es je könnten. Es schien keine direkte Ablehnung, aber auch keine Zustimmung – nur eine beklemmende Stille, die sich wie ein Schatten über das Gespräch legte. Giovanni lehnte sich zurück, sein Gesicht eine Mischung aus Frustration und Traurigkeit, während er sich fragte, ob die Wahrheit allein jemals genügen würde, um das Vertrauen zwischen ihnen zu bewahren.
Plötzlich stand er auf, sein Hocker gab einen kurzen protestierenden Laut von sich. Mit einem festen Schritt ging er zur Tür, zögerte einen Moment, dann drehte er sich zu Maria um, die ihn jetzt fast lächelnd anschaute, als hätte sie längst gewusst, was folgen würde.
Seine Stimme war dann sanft, als er sagte: „Maria, weißt du auch, dass ich dich unsagbar liebe?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, verschwand er durch die Tür, hinterließ die Worte wie ein Echo, das noch lange im Raum nachhallte.
Der Entschluss
Die Welt war in Dunkelheit gehüllt, draußen herrschte eine fast greifbare Stille, die tief in jede Ecke der Nacht eindrang und alles zu ummanteln schien, auch im kleinen Haus regierte eine wohltuende, beinahe magische Ruhe. Die flackernde Flamme der Öllampe auf dem schlichten, hölzernen Tisch spendete nicht nur ihr sanftes Licht, das die Schatten an den Wänden in einem bezaubernden Spiel aus Bewegung und Formen tanzen ließ, sondern erfüllte den Raum gleichzeitig mit einem feinen, dezenten Duft, der in seiner Art ein besonderes, fast ungeahntes Ambiente schuf. Es war das brennende Olivenöl in der Lampe, das diese warme, beruhigende und zugleich inspirierende Atmosphäre verströmte.
Das raue Gewebe seiner Kleidung verursachte eine leichte Reizung auf der Haut – ein vertrautes und nahezu beruhigendes Gefühl für Giovanni, das einen Kontrast zu seinen unruhigen Gedanken bildete. Seine Finger strichen unbewusst über die grobe Textur des Stoffes, als suchten sie Halt. Die Welt um ihn herum schien zu verschwimmen, eingehüllt in die Dichte seiner Überlegungen, während dieses einfache, physische Gefühl ihn sanft in der Realität verankerte. Es war ein faszinierender Gegensatz: die alltägliche, greifbare Wahrnehmung, die ihm Sicherheit bot, und die oft chaotischen Gedanken in seinem Inneren, die ihn in Frage stellten. Vielleicht war genau dieser Kontrast das, was Giovanni dazu brachte, sich lebendig zu fühlen – eine Balance zwischen der Berührung des Jetzt und den Fragen, die in die Zukunft reichten. Diese bewegten sich unablässig: eine Zukunft voller Chancen, unerschlossener Wege, anspruchsvoller Herausforderungen sowie potenzieller Risiken, die es zu meistern galt.
Es war dieser eine Moment vollkommener Stille, in dem die Flamme in einem gleichmäßigen und rhythmischen Tanz flackerte. Giovanni ließ seinen Blick in die Weiten seiner Gedanken schweifen.
Wie von einem Blitz getroffen, sprang Giovanni Fontana von seinem Schemel auf. Mit entschlossenem Schritt steuerte er auf eine unauffällige, beinahe verborgene Nische in der kalten, zerklüfteten Steinwand zu. Dort wusste er einen Beutel Tabak, den er erst vor wenigen Tagen von einem Reisenden erstanden hatte. Seine Hände griffen fest danach, als hielte er den Schlüssel zu seiner Erlösung. Vorsichtig öffnete er das Päckchen, und ein intensives Aroma stieg ihm unmittelbar in die Nase. Jeder Handgriff war präzise, jede Bewegung voller Bedacht. Die sorgsam abgestimmte Mischung lag bereit. Mit ruhiger Hand zündete er sie an, verfolgte, wie der Rauch in sanften, kontrollierten Schwaden aufstieg. Er ließ ihn ziehen, atmete ihn ein, schmeckte jede Nuance, spürte die Wärme aufsteigen und die feinen Aromen sich langsam entfalten. Nichts geschah überstürzt, kein Atemzug war gedankenlos. Es war ein Moment purer Achtsamkeit – ein Ritual, das den grauen Alltag für einen Augenblick vergessen ließ, getragen von Konzentration und stillem Genuss.
Die Welt um ihn herum schien sich schlagartig zu verändern, die Gedanken flossen klarer, intensiver, wie ein Fluss, der sich seinen Weg durch das Dickicht des Lebens bahnt. In diesem berauschten Zustand, in dem er sich plötzlich befand, war es, als ob etwas ihn wachrüttelt. Sein Blick wurde fest, seine Hände ballten sich, sein Atem wurde schwerer.
Giovanni Fontana rief mit einer Entschlossenheit in seiner Stimme seinen vier Wänden zu: „Die Zukunft ruft – ich bin bereit, meine Reise zu beginnen!“
Reise in die Zukunft
Das erste Licht des 1. Novembers 1648 schlich wie ein vorsichtiger Besucher durch die schmale Öffnung der hölzernen Fensterläden des Rustico. Drei Jungen, ihre Augen voller Lebendigkeit, traten hinaus, ihre Schritte leicht wie das Flüstern des Windes. Ihnen folgte ihre ältere Schwester, die mit einem wissenden Blick die Umgebung musterte, als würde sie jedes Detail der erwachenden Welt in sich aufnehmen. Ihre Wangen waren vom Schlaf noch leicht gerötet, doch ihre Haltung zeigte Entschlossenheit. Kalte Luft kroch durch die Täler, während die Stille nur vom entfernten Ruf eines Raubvogels durchbrochen wurde.
Die Kinder ließen das schlichte, steinerne Rustico hinter sich. Der kalte Morgentau färbte ihre Schuhe dunkel, während sie gemeinsam durch das hohe, feuchte Gras liefen. Der Wald vor ihnen wirkte geheimnisvoll, fast einladend, doch der Nebel, der sich wie ein Schleier auf die umliegenden Berge gelegt hatte und diese nahezu unsichtbar machte, ließ auch keinen tiefen Blick in den vor ihnen liegenden Kanton zu. Kein Wort wurde zwischen ihnen gesprochen, doch ihre Blicke sagten genug – es war Aufregung, Erwartung und ein Hauch von Abenteuer, der sie vorantrieb. Irgendwo in der Ferne war das leise Plätschern eines Baches zu hören, eine beruhigende Melodie, die den stillen Morgen begleitete. Mit jedem Atemzug wuchs ihre Vorfreude auf das, was dieser Tag bereithalten würde.
In dicke, handgewebte Wollmäntel gehüllt, die sie vor den kalten Nächten schützen sollten, und mit robusten Lederschuhen an den Füßen, folgten sie ihren Eltern, Giovanni und Maria Fontana. Ein hölzerner Wagen trug all ihre Habseligkeiten und alles, was sie für die Reise brauchten. Auf Rädern rollte er durch das flache Land.
Fontana hatte sich gründlich und sorgfältig auf die bevorstehende Reise eingestellt, denn schließlich sollte doch seine gesamte Familie sicher und unversehrt nach Deutschland gelangen.
„Die Bergwelt der Tessiner Alpen kenne ich wie meine Westentasche – von so mancher Bärenjagd“, sagte er mit einem selbstbewussten Lächeln, das seine tiefe Verbindung zu dieser ungezähmten, rauen Landschaft offenbarte. Während er seine sorgfältig gepackte Ausrüstung überprüfte, verrieten seine präzisen Bewegungen eine jahrelange Routine. Jedes Werkzeug, jede Karte, jeder Gegenstand hatte seinen festen Platz – nichts blieb dem Zufall überlassen. Seine Hände strichen geübt über die wetterfeste Kleidung und die scharf geschliffenen Wanderstöcke, die ihnen allen bereits treue Dienste in so mancher Herausforderung geleistet hatten. Der Geruch von ledernen Gurten, durchzogen von kräftigem Fett, lag in der kühlen Luft, während er die letzten Anpassungen an seinem Rucksack vornahm. Sein Blick schweifte in die Ferne – als wanderten seine Gedanken bereits über die Pfade und Gipfel, die sie erwarten würden. Dann wandte er sich an seine Familie, die ihm aufmerksam lauschte, und sprach mit fester Stimme: „Eine gute Vorbereitung ist das A und O. In den Tessiner Alpen gibt es keine halben Sachen. Jeder Schritt, jeder Aufstieg und jeder Moment fordern Respekt, Fokus und – nicht zu vergessen – eine Prise Abenteuerlust. Nur so können wir diese Reise als Familie antreten. Einer für alle, alle für einen! Habt ihr das verstanden?“ Das laute, übermütige „Ja!“ der Kinder hallte wider und wollte zwischen den Gipfeln der Berge scheinbar niemals verklingen.
Ein kalter Wind wehte durch die Täler, die Berge des Verzascatals hüllten sich in Nebel, der Boden war feucht und frostig von der ersten Nacht unter null Grad.
Giovanni Fontana zeigte sich als guter Reiseleiter für seine Familie und erklärte ihnen alles so, dass es sie auch neugierig machte: „Unsere Reise beginnt inmitten dieser rauen Schönheit, einem Fußmarsch, der uns durch die Alpenlandschaft, vorbei an dichten Wäldern, schroffen Felsen und verschneiten Bergpässen führen wird“, begann er. „Der Weg ist geprägt von steilen Anstiegen und rutschigen Abstiegen. Die Route könnte uns über den Gotthardpass oder den Lukmanierpass führen, je nachdem, welche Bedingungen das Wetter zulässt. Von dort windet sich der Weg in Richtung Norden, bis wir schließlich die Grenze zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation erreicht haben. Die Distanz? Rund 200 bis 250 Kilometer – abhängig von der gewählten Strecke und den Umwegen, die wir aufgrund von Höhenlagen, Flüssen oder unpassierbaren Wegen in Kauf nehmen müssen. Der erste Ort hinter der deutschen Grenze könnte Waldshut-Tiengen sein. Doch bevor wir dort ankommen, liegt eine beschwerliche Route vor uns.
schlammige Pfade, eiskalte Flüsse ohne Brücken. Ständig werden wir auf der Nahrung und Schutz vor den Elementen zu finden. Zehen und Finger brennen vor Kälte, die Füße sind schwer von durchnässten Lederschuhen, und jeder Atemzug schneidet wie ein Messer in die Lunge. Der November zeigt keine Gnade – aber die Aussicht auf eine warme Stube und einen sicheren Hafen spornt sie an, Schritt für Schritt weiterzugehen bis Disentis/Mustér, das erste Ziel. Dort wohnte ein Jagdfreund des Giovanni Fontana. Mit dem gemeinsam habe ich viele Bären gejagd.
„Papa, warum hast du Bären gejagt?", fragte Luca, der Kleine. "Bären sind doch schneller als du."
"Nein, mein Kind", sagte Giovanni bestimmt, "ich bin nicht mit den Bären um die Wette gelaufen, ich habe sie erlegt, hier mit dieser Armbrust. Die Bärenjagd war für Mama, mich und euch Kinder von enormer Wichtigkeit, denn sie hat uns am Leben erhalten. Unser Ziel war es, uns und das Vieh zu schützen und sicherzustellen, dass die Familie für längere Zeit genug Fleisch hat. Und das war definitiv mehr als nur ein Schaf. Wir brauchen jetzt im Winter einen erlegten Bären. Die Beeren, Kräuter und das Hammelfleisch sind bald aufgebraucht. Schau dir mal deine Kleidung an! Die hat deine Mama aus Bärenfell zusammengenäht. Da bräuchten wir auch wieder mal etwas Neues. Luca, verstehst du das? Aus seinen Knochen habe ich Werkzeuge und Pfeilspitzen hergestellt, um mich mit großem Mut den mächtigen Tieren stellen zu können.
Der November im Jahr 1650: Ein kalter Wind weht durch die Täler, die Berge des Verzascatals in der Schweiz hüllen sich in Nebel, der Boden ist feucht von Regen oder frostig von den ersten Nächten unter null Grad. Deine Reise beginnt inmitten dieser rauen Schönheit, ein Fußmarsch, der dich durch die Alpenlandschaft, vorbei an dichten Wäldern, schroffen Felsen und verschneiten Bergpässen führt. Eine gerade Linie gibt es nicht – der Weg ist geprägt von steilen Anstiegen und rutschigen Abstiegen. Die Route könnte dich über den Gotthardpass oder den Lukmanierpass führen, je nachdem, welche Bedingungen das Wetter zulässt. Von dort windet sich der Weg in Richtung Norden, durch die heutige Schweiz, bis du schließlich die Grenze zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation erreichst.
Die Distanz? Rund 150 bis 200 Kilometer – abhängig von der gewählten Strecke und den Umwegen, die du aufgrund von Höhenlagen, Flüssen oder unpassierbaren Wegen in Kauf nehmen musst. Der erste Ort hinter der deutschen Grenze könnte Waldshut-Tiengen sein, eine befestigte Stadt am Hochrhein, die damals schon eine wichtige Station für Reisende war. Doch bevor du dort ankommst, liegt eine beschwerliche Route vor dir: schlammige Pfade, eiskalte Flüsse ohne Brücken und die ständige Herausforderung, Nahrung und Schutz vor den Elementen zu finden. Zehen und Finger brennen vor Kälte, die Füße sind schwer von durchnässten Lederschuhen, und jeder Atemzug schneidet wie ein Messer in die Lunge. Der November zeigt keine Gnade – aber die Aussicht auf eine warme Stube und einen sicheren Hafen spornt dich an, Schritt für Schritt weiterzugehen.
Die umgebende Natur war atemberaubend schön und anmutig, doch ebenso gnadenlos und feindselig: Schneebedeckte Gipfel ragten majestätisch in die Höhe, eisige Winde schnitten messerscharf durch die klare Winterluft, und der Schnee knirschte unter ihren vorsichtigen, bedachten Schritten. Die Herausforderung dieser Reise war allgegenwärtig und unverkennbar.
Trotz der Strapazen und des unwirtlichen Klimas funkelten die Augen der Kinder wie kleine Sterne. Ihre Hände, rot von der Kälte, klammerten sich fest aneinander, doch keine Spur von Müdigkeit oder Missmut war zu erkennen. Stattdessen sprangen sie durch den knirschenden Schnee, ließen ihre Stimmen freudig durch die frostige Luft hallen und zeigten mit ausgelassener Energie auf jedes Wunder, das die Umgebung ihnen bot. Die Kälte schien vergessen, die Anstrengung unwichtig – es war, als ob die Freude aus ihnen herausstrahlte, während Giovanni und Maria mit wachsamen, stets aufmerksamen Augen den verworrenen und unberechenbaren Weg im Blick behielten. Jeder Schritt der Familie war wohlüberlegt und vorsichtig gesetzt, denn die unwegsamen, schneebedeckten Pfade und das launische, unvorhersehbare Wetter hielten ständig neue Gefahren und Schwierigkeiten bereit. Doch es waren nicht allein diese äußeren Risiken und Unwägbarkeiten, die Giovanni, dem entschlossenen Oberhaupt der kleinen Familie, Sorge bereiteten.
„Papa, warum ist unsere Reise so gefährlich? Liegt es an dem Krieg, von dem ihr gesprochen habt?“, fragte Chiara, die Älteste, mit ernstem, nachdenklichem Blick ihren Vater. Offenbar hatte sie einige Wortfetzen aus der leisen, sorgenvollen Unterhaltung ihrer Eltern aufgeschnappt und konnte ihre Neugier nicht länger unterdrücken.
„Nein, mein Kind, dieser schreckliche Krieg, der so viel Leid und Kummer gebracht hat, ist endlich nach langen 30 Jahren vorbei. Es ist Frieden, und ich hoffe, dass wir nun eine bessere Zukunft vor uns haben. Chiara, du solltest es trotzdem wissen: solange wir hier in der Schweiz unterwegs sind, dürfen wir uns unter keinen Umständen erwischen lassen, denn unsere Ausreise ist strengstens untersagt. Hier oben in den Bergen, weit entfernt von den Hauptstraßen und Siedlungen, wird uns nichts passieren, aber wenn wir in ein paar Tagen in die Nähe der Grenze kommen, müssen wir besonders wachsam sein. Dort besteht die Gefahr, dass wir in die Arme von Söldnertruppen geraten, die eigentlich dafür da sind, uns vor Plünderungen zu schützen, aber sie übernehmen auch die Aufgabe, Reisende zu kontrollieren. Unsere Reise dürfte keinesfalls in einem Kerker oder einer Gefangenschaft enden, und deshalb müssen wir auf jeden Schritt und jede Bewegung achten.“
Das hatte Chiara verstanden und bläute es ihren herumtollenden Brüdern konsequent ein. Sie war sich der Bedeutung ihres Handelns bewusst und wollte sicherstellen, dass niemand in Schwierigkeiten geriet. Auch ihre Brüder erkannten schnell die Ernsthaftigkeit der Situation und passten ihr Verhalten an. Von diesem Moment an handelten sie verantwortungsbewusster und situationsgerecht, denn niemand wollte die Konsequenzen unüberlegter Taten tragen.
Es war eine undurchdringlich dunkle Nacht. Kein Stern funkelte am Himmel, und die Finsternis wirkte wie ein dichter, schwarzer Schleier, der alles verschluckte. Schwer beladene Schneewolken hatten sich am Nachmittag wie eine Glocke über über sie zusammengedrängt, als würden sie auf das Zeichen des Himmels warten, um ihre eisigen Tore zu öffnen und die Welt mit Schnee zu überziehen. Die Luft war kühl, feucht und schwer – als würde sie die bevorstehende Last bereits spüren und sich ihr willenlos ergeben.
Vater Fontana ließ die Leine des Schlitten fallen. „Lasst uns zur Ruhe kommen!“, sagte er seiner Familie. „Hier rasten wir. Diese Höhle dort drüben im Berg wird uns vor dem kommenden Schneesturm schützen. Aber zuvor entfachen wir ein Feuer.
Der Duft von gegrillten Lammkeulen und frisch gebackenem Brot stieg in die kalte Abendluft, während die ersten Schneeflocken lautlos vom Himmel fielen. Am Horizont türmten sich jetzt bedrohlich graue Wolken auf, ein untrügliches Zeichen für den nahenden Schneesturm. Ohne ein Wort zu verlieren, deutete Fontana nach dem letzten verzehrten Happen auf die Höhle am Berghang. Es war klar, was zu tun war.
Ein leises Knirschen erklang unter den Füßen, beinahe unheimlich in der Stille. Ein plötzlicher Windstoß durchbrach das Schweigen, als ob die Nacht selbst in sich gelauscht hätte, ergriffen von ihrer eigenen Dunkelheit. Es lag etwas Unausweichliches in der Luft – ein Gefühl, dass etwas Großes, Mächtiges bevorstand. Die Welt verharrte regungslos und geduldig, während sie auf den Tanz der ersten Schneeflocken wartete.
Da geisterte Giovanni mit seiner Familie in Richtung Grenze nach Deutschland. Die Landschaft war still, nur das leise Rauschen eines Baches war zu hören. Plötzlich stolperte einer der Jungen. Es war Luca, der Kleine. Er verlor das Gleichgewicht und rutschte in das kalte, sprudelnde Wasser. Die Schreie des Kindes durchbrachen die Stille, und Panik lag in der Luft. Ohne zu zögern, sprang der Vater ins Wasser. Seine Bewegungen waren schnell und entschlossen, während er den Jungen an sich zog und sicher ans Ufer brachte. Das zitternde Kind klammerte sich an seinen Vater, während die Familie unsicher, aber auch erleichtert, wieder zusammenstand.
Doch das hörten die Grenzkontrolleure, deren Atem Giovanni bald schon im Nacken hatte. Der wusste sich keinen anderen Rat, als das Gebrüll eines Braunbären zu imitieren. Die Szene war von einer seltsamen Spannung erfüllt, die sich schlagartig entlud. Im Dickicht des Waldes hallten helle, unkontrollierte Laute wider. Die Jungen konnten ihr Lachen nicht zurückhalten, ihre Stimmen schallten wie das Quieken von Jungtieren durch die Bäume. Die Söldner, die sich in der Nähe aufhielten, hielten inne. Ihre Blicke wanderten suchend durch das Geäst, die Gesichter angespannt. Man konnte förmlich sehen, wie sich in ihren Köpfen eine Theorie formte. Einer rief: „Eine Bärin mit ihren Jungen“. Kein gewagter Schritt, keine mutige Konfrontation – der vermeintliche Gedanke an die Gefahr ließ sie zögern. Die Männer entfernten sich, jetzt im Schein von Fackeln, schneller, als man es fassen konnte. Ihre Bewegungen waren hektisch, panisch – an eine weitere Patrouille schienen sie keinen Gedanken zu verschwenden. Kein Wort wurde gewechselt, kein Blick zurückgeworfen. Der Ausdruck in ihren Gesichtern und ihrer Gestik sprach Bände: Schweißperlen auf der Stirn, zitternde Hände, Blicke, die sich nicht mehr trauten, zurückzuschauen. Es war, als würden sie von einer unsichtbaren Macht fort getrieben, die nur sie begreifen konnten. Ihre Schritte hinterließen eigenartige Spuren im Sand, die so chaotisch wirkten wie ihre Flucht selbst. Kein Wort wurde gesprochen, doch alles war klar: Sie hatten genug gesehen und gehört und wollten nur noch weg.
„Es dauert nicht mehr lange, dann sind wir in Sicherheit“, ermunterte Giovanni, vor Kälte bibbernd, seine Familie – in den Armen hielt er den kleinen Luca.
Im Schutz der Nacht, mit schnellen Schritten, bewegte sich die kleine Migrantengruppe vorsichtig durch das unwegsame Gelände. Jeder Ast, der knackte, ließ sie zusammenzucken. Der Atem ging schwer, nicht nur vor Anstrengung, sondern auch vor Angst. Die Augen waren wachsam, suchten nach jedem Zeichen einer Gefahr, während das Adrenalin ihre Sinne schärfte. Als das Licht von Fackeln in der Ferne flackerte, stockte der Atem. Doch sie wichen aus, so leise wie Schatten, und setzten ihren Weg unbeirrt fort. Der Gedanke an Freiheit war stärker als die Angst. Als der erste Sonnenstrahl den Horizont erhellte, wich die Dunkelheit – und mit ihr ein Teil ihrer Furcht. Bald darauf erreichten sie erschöpft, aber erleichtert, den Boden, den sie als ihre Chance auf ein neues Leben sahen: Deutschland.
Ein nahegelegenes Haus erregte ihre Aufmerksamkeit, und dort wurden sie herzlich willkommen geheißen. Luca lag erschöpft und mit fiebriger Stirn unter einer wohltuend warmen Decke, während der Duft von Kräutertee den Raum erfüllte. Der erste Schluck des beruhigenden Getränks wirkte wie Balsam, die Wärme kehrte in seinen Körper zurück. Kurze Zeit später schlüpfte er in weiche, trockene Kleidung, die ihn vor der noch kühlen Frühlingsluft schützte. Es dauerte nicht lange, bis seine Wangen wieder Farbe bekamen, und ein Lächeln sich auf seinem Gesicht zeigte. Die Energie kehrte zurück, und mit jedem Atemzug fühlte er sich lebendiger. Bald stand Luca schon am Fenster, blickte hinaus und spürte die Vorfreude auf das, was vor ihm lag. Der Moment, auf den er so lange hin gefiebert hatte, war endlich gekommen: Die große Reise durch Deutschland konnte beginnen – ein Abenteuer voller Eindrücke, Geschichten und unvergesslicher Begegnungen sollte es werden. Doch so schnell wollte die gute Frau, die mit viel Herz und Hingabe der Tessiner Familie zur Seite stand, ihre Gäste nicht verabschieden.
„Was hat euch zu dieser mühsamen Reise bewogen?“, wollte sie neugierig wissen. „Eurem Dialekt nach zu urteilen, scheint ihr bereits eine lange und beschwerliche Strecke hinter euch zu haben. Abgesehen vom Herrn sprecht ihr doch fließend Italienisch oder Lateinisch. Woher kommt ihr eigentlich, und welches Ziel verfolgt ihr auf eurer Reise? Erzählt mir mehr, ich bin wirklich gespannt.“
„Wir kommen vom Tessin, aus dem Verzascatal“, antwortete Giovanni. „Wenn ihr die schönste Landschaft der Welt sehen wollt, müsst ihr dort hingehen. Mit seiner atemberaubenden Natur, den smaragdgrünen Wassern der Verzasca, die in der Sonne glitzern, und den charmanten historischen Dörfern mit ihren Steinhäusern ist es ein Ziel, das Herzen höherschlagen lässt. Besonders beeindruckend ist die berühmte Ponte dei Salti, eine uralte Steinbrücke, die einen Blick, wie aus dem Bilderbuch, über den Fluss bietet. Der schlängelt sich wie ein grünes Band durch das Tal. Aber dort im Tessin ist das Leben sehr beschwerlich, gerade für Familien wie unsere. Aus diesem Grund wollen wir uns in Deutschland nach einem Bauernhof umsehen, um dort vielleicht eine neue Heimat zu finden und ein einfacheres, aber sicheres Leben zu führen.
Die Frau bewies nicht nur Mitgefühl, sondern auch ein besonderes Gespür für praktische Ratschläge. Sie sagte: „Ich habe von einem Ort in Deutschland gehört, wo die Chancen für einen fleißigen Bauern kaum besser sein könnten. Er ist umgeben von fruchtbaren Feldern und es ist eine Gemeinschaft, die das Land zu schätzen weiß“.
Sie beschrieb die Landschaft nicht mit vielen Worten, doch allein ihr Leuchten in den Augen ließ erkennen, wie tief sie von der Schönheit und den Möglichkeiten dieses Ortes überzeugt war. Ihre Erzählung malte das Bild einer Region, die nicht nur ertragreiche Ernten verspricht, sondern auch ein Leben in Harmonie mit der Natur.
„Erzählen sie weiter!“, forderte Giovanni die Frau auf. „Wie heißt die Region?“
Und sie erzählte gern, kam so richtig ins Schwärmen:
„Während des Krieges von 1618 bis 1648 spielte die Region Lausitz eine strategisch bedeutende Rolle. Als Teil der Böhmischen Krone, bekannt auch als „Markgrafschaft Niederlausitz“, geriet sie durch ihre Lage zwischen Sachsen, Schlesien und Böhmen früh in den Strudel der kriegerischen Auseinandersetzungen. Die Region wurde Schauplatz zahlreicher Gefechte und litt enorm unter Plünderungen, Zerstörungen und der wirtschaftlichen Not, die der lang andauernde Konflikt mit sich brachte. Ihre strategische Bedeutung lag nicht nur in der geografischen Lage, sondern auch in ihrer Funktion als Verbindungsroute und Versorgungsstrecke für die kämpfenden Parteien. Im Jahr 1635 wurde die Lausitz im Rahmen des Prager Friedens ein Teil von Kursachsen. Diese Vereinbarung beendete den Dreißigjährigen Krieg zumindest teilweise und führte zur Abtretung der Ober- und Niederlausitz durch das Königreich Böhmen an das Kurfürstentum Sachsen. Diese territoriale Neuordnung stärkte die Machtposition Kursachsens und hinterließ einen prägenden Einfluss auf die Geschichte der Region. Doch die Spuren der Zerstörung waren allgegenwärtig: Verlassene Gemeinden, verwilderte Felder und eine drastisch dezimierte Bevölkerung zeugten von den massiven Verlusten. Trotzdem erwachte die Lausitz langsam zu neuem Leben. Wanderarbeiter und Migranten aus anderen Teilen Europas strömten herbei und begannen, die Region wiederaufzubauen. Sie übernahmen verlassene Höfe, kultivierten das brachliegende Land und brachten neue Kenntnisse, Technologien und Traditionen mit, die das landwirtschaftliche Leben bereicherten. Durch ihre harte Arbeit füllten sich nicht nur die Kornspeicher, sondern auch die Dörfer wurden wiederbelebt. Märkte entwickelten sich erneut zu wichtigen Treffpunkten, die den Menschen Hoffnung und die Grundlage für eine positive Zukunft boten.“
„Woher wissen sie das alles?“, wollte Giovanni am Ende des langen Gesprächs neugierig und ein wenig erstaunt wissen, da ihm diese Geschichten doch sehr fremd vorkamen.
„Ich habe einen Sohn, der im Krieg in Dragosow hängen geblieben ist, und ab und zu kommt ein Gruß mit der Postkutsche von ihm an. Es ist zwar selten, aber er schickt uns manchmal ein Lebenszeichen,“ antwortete die Frau mit einem Hauch von Melancholie in der Stimme.
Giovanni und seine Familie bedankten sich herzlich bei der Frau für ihre großzügige Gastfreundschaft, bevor sie voller Dankbarkeit Abschied nahmen. Mit auf den Weg gab sie ihnen liebe Grüße für ihren Sohn sowie ein Päckchen mit nützlichen Dingen für ihn. „Er heißt Karl Lehmann! Vergesst es nicht!“, rief sie ihnen eindringlich hinterher, während ein warmes Lächeln ihr Gesicht erhellte.
Jetzt hatte es die Familie Fontana besonders eilig, denn sie wollten keine Zeit verlieren. Sie hatten ein klares und festes Ziel vor Augen, das sie entschlossen verfolgten, und wollten unbedingt rechtzeitig ankommen, bevor vieles vergeben oder am Ende gar nichts mehr zu holen war.
Frontmann
Wilde Zeiten - große Gefühle
Zum Inhalt:
Frontmann – Wilde Zeiten, große Gefühle
Die Verbindung zwischen Musik und Liebe ist so alt wie die Menschheit selbst. Zusammen vereint sie zwei der kraftvollsten Energien des Lebens. Hier verschmelzen Herzklopfen und Harmonie, Inspiration und intime Augenblicke. Ob es die verstohlenen Blicke zwischen Bühne und Publikum sind oder die leidenschaftlichen, turbulenten Momente hinter den Kulissen – es sind Gefühle, die sich kaum in Worte fassen lassen.
Erleben Sie die einzigartige Symbiose von Liebe und Musik und lassen Sie sich von der Magie mitreißen, die entsteht, wenn zwei Herzen im gleichen Takt schlagen.
Dieser Roman offenbart in jeder Phase seinen eigenen Zauber – eine facettenreiche Reise durch das Leben und die Leidenschaft eines Musikers.
"Frontmann" - Leseprobe - Ausschnitt: Intermezzo mit Anne
„Du bist also unser neuer Kollege?“, fragte sie neugierig.
„Ja“, antwortete Max knapp.
„Ich bin Anne“, stellte sie sich vor, „Mädchen für alles hier in der Betonbude – auch zuständig für die Einkleidung. Junge, du bist ja völlig durchgeschwitzt! Kein Wunder, der Weg hierher ist beschwerlich. Ich weiß, dass du vom Gut oben kommst. Ich selbst komme aus Steinersburg, wohne aber hier im Arbeiterwohnheim. Übrigens, da wäre noch ein Zimmer frei, falls du Interesse hast. Bevor du dich jedoch in die neuen Arbeitssachen schwingst, kannst du erstmal duschen – wenn du möchtest.“
„Duschen?“, fragte Max erstaunt. Eine Dusche hatte er bis dahin nur ein einziges Mal in seinem Leben gesehen – damals im Kinderferienlager. Er erinnerte sich, wie die gesamte Kindergruppe, Jungen und Mädchen gemeinsam, nackt unter dem warmen Strahl eines Duschkopfes herumtollte.
„Wo habt ihr hier eine Dusche?“, fragte er skeptisch.
Anne deutete auf eine abseits stehende Wassertonne, die zwischen zwei Betonsäulen passgenau eingesetzt war. Von der Tonne führte ein Rohr mit einer angebrachten Gießkannentülle nach unten.
„An der Kette musst du ziehen“, erklärte sie. „Mit etwas Glück kommt sogar warmes Wasser raus.“
„Und wo kann ich mich umziehen?“, wollte er wissen.
Anne grinste breit, presste ein „Pff“ durch die Lippen und sagte: „Keine Sorge, ich schau’ dir schon nichts ab. Ich habe schon ganz andere Männer gesehen.“
Mit einem schelmischen Lächeln entfernte sie sich, während sie über die Schulter rief: „Ich hole mal deine Arbeitsklamotten.“
Max zögerte einen Moment, entschied sich dann jedoch, sich komplett auszuziehen. Er war allein, und bevor Anne zurückkäme, wollte er längst geduscht und wieder angezogen sein. Doch Anne kehrte schneller zurück, als er erwartet hatte – viel zu schnell für seinen Geschmack. Sie zeigte keinerlei Rührung und agierte, als wäre alles völlig normal. Für Max war es das jedoch keineswegs. Eilig griff er nach seinen Sachen, schnappte sich die Unterhose und zog sie sich in einer schnellen Bewegung über. Anne blieb ungerührt, hielt ihm das Arbeitshemd und anschließend die Hose hin und ließ es sich nicht nehmen, ihm beim Anziehen behilflich zu sein – inklusive gelegentlicher Berührungen.
„Es muss ja alles passen, oder?“, sagte sie dann in einem bemutternden Ton.
Dabei reckte sie ihre Brust leicht, drehte ihren Oberkörper spielerisch und schmollte selbstbewusst mit ihren vollen Lippen. Schließlich wies sie mit einer knappen Geste auf das Tor zur Werkhalle und sagte schnippisch: „Da drinnen findest du den Meister. Melde dich bei ihm.“
Mit einem Schwung warf sie ihm die restlichen Sachen vor die Füße und verschwand.
„Eigenartiges Weib“, murmelte Max, zuckte mit den Schultern und machte sich auf den Weg in die Halle, bis zum Meisterbüro, wo er nach einer kurzen Einweisung in die Arbeitssicherheit seine Ausrüstung entgegennahm: eine Schaufel in normaler Größe, einen Hammer, einen Eimer mit Trennmittel und einen Pinsel.
„Das ist alles, was du für deinen Job brauchst“, erklärte der Meister trocken. „Groß nachdenken musst du hier nicht. Das kriegst du doch hin, oder?“
„Klar“, antwortete Max, dachte jedoch insgeheim: „Und dafür habe ich mein Abitur gemacht?“
Zunächst verlief das Schippen zügig, bald bildete sich dann doch die erste Blase am Daumen. Mit dem zweiten größeren ballonförmigen Wassersack in der Innenhand war das Schippen abrupt beendet.
„Das ging mir, als ich damals hier angefangen hatte, genauso“, rief ein Kollege von nebenan rüber. „Anne kommt mir gleich neuen Beton bringen, dann kannst du ihr Bescheid geben, sie wird dich verpflastern.“
Max blickte hinüber und bemerkte einen schmalen, älteren Mann, der gerade konzentriert dabei war, seine Form zu füllen. Sein graues Haar und sein insgesamt gesetztes Erscheinungsbild ließen darauf schließen, dass der Ruhestand für ihn wohl nicht mehr allzu fern war. „Wenn dieser Kollege das über Jahre hinweg erfolgreich gemeistert hat“, dachte er, „dann werde ich das ganz sicher auch schaffen.“ Mit einem freundlichen „Danke!“ wandte er sich an den Mann, doch in diesem Moment fuhr Anne mit ihrem Dumper heran. Direkt vor ihm manövrierte sie das Fahrzeug mit beeindruckender Präzision. Dabei schwappte ein Teil des Betons über die Bordkante und landete direkt vor seinen Füßen.
„Pardon!“, rief sie, dann kippte sie den übergroßen Rest der grauen Masse dem freundlichen Kollegen von nebenan auf den vorgesehenen Platz. Der war bereits mit dem Zusammenbau einer neuen Form beschäftigt und wies auf Max. Anne kam, schaute sich seine Hand an und griente. „Was hast du denn da angestellt? Das wird ja eine größere Operation.“ Mithilfe einer Nadel sorgte sie für vorläufige Entspannung. Die in der Folge aufgepinselte dunkelbraune Substanz entlockte ihm allerdings ein hohes „C“, das er stimmgewaltig herausschrie. Zum Abschluss ihrer Behandlung nahm sie ein größeres Pflaster, legte es in die Innenhand und fixierte dann die Klebeflächen gefühlvoll an die Haut.
„Du schaffst das schon“, sagte Anne nahezu flehend. „Bitte!“
Sie gab ihm einen Schmatz auf die Wange und stieg wieder auf ihren Dumper. Beim Losfahren drehte sie sich nochmals um, ließ ihren Kopf etwas zur Seite fallen und winkte ihm lächelnd zu. Die langen, schwarzen Haare wehten ihr hinterher.
Die Trilogie „Geboren, um zu leben“
Tauchen Sie ein in die Welt der autobiografischen Fiktion mit dem dreiteiligen Roman "Geboren, um zu leben". Diese Reihe verwebt fesselnde Belletristik mit wahren Geschichten, illustriert mit eindrucksvollen Bildern, die diese Seiten zum Leben erwecken. Die Bücher, erschienen im Jahr 2024 neu, sind in deutscher Sprache verfasst und sowohl für Jugendliche als auch für Erwachsene ansprechend gestaltet. Dieses personalisiert und signierte Taschenbuch-Set nimmt Sie mit auf eine emotionale Reise durch die Epochen der Romantik und der Literatur der Jahre 1870 bis 1970. Die Ausgabe mit einer nostalgischen Vintage-Ausstrahlung ist ein literarisches Kleinod für Liebhaber von Biografien und wahren Geschichten. Apropos: Vergesst Sie nicht, Ihre Bücher signieren zu lassen, unter: Kontakt, signierte Bücher bestellen (unten)!
Zweiteiler - Heide-Romane
- "Wilhelmine - Was ich euch noch sagen wollte"
Eine mitreißende Familiensaga, in der das Leben Wilhelmines und das ihrer Vorfahren in all seinen Facetten aufgerollt wird.
Wilhelmine entstammte äußerst vermögenden Familiendynastien. Dennoch gestalten sich ihre Lebensumstände infolge plötzlichen Leids der Großeltern und Trennung der Eltern äußerst ärmlich. Die Stationen als Küchenmagd in der Fleischerei ihres Onkels sowie als Dienst- und Küchenmädchen auf dem Rittergut Briesen im Schloss des Barons von Wackerbarth repräsentieren dies anschaulich und bieten eine beeindruckende Zeitreise von der Kaiserzeit des ausklingenden 19. Jahrhunderts bis ins heutige 21. Jahrhundert.
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„Wir sind geboren, Taten zu vollbringen“, lernte Julian mit zwölf in der Pionierrepublik „Wilhelm Pieck“. Als Soldat der Nationalen Volksarmee soll er diese Taten umsetzen, doch Drill und Schikane liegen ihm nicht. Stattdessen bringt er mit Musik Freude ins Militärleben. Zu Hause erlernt er auf Wunsch seiner Mutter einen „vernünftigen“ Beruf, doch seine Leidenschaft bleibt die Musik, trotz der Hürden der DDR-Diktatur. Nach dem Mauerfall wird sein Traum wahr: Er eröffnet eine Kneipe und begeistert Gäste mit Musik.
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